„Spiritualität ist eine wichtige Säule der Gesundheit“
Seit erstem Januar 2023 leitet Theresa Stampler das Wertemanagement im Herz-Jesu Krankenhaus Wien. Im Gespräch mit INGO erzählt die studierte Theologin von ihrem spirituellen Weg und erklärt, was die christliche Wertekultur und eine Atmosphäre der Menschlichkeit mit Heilung zu tun haben.
„Eine christliche Unternehmenskultur ist wie ein guter Geist, der durch ein Gebäude weht“, sagt Theresa Stampler mit einem Lächeln. Seit Jahresbeginn trägt die studierte Theologin im Herz-Jesu Krankenhaus, einem Spital der Vinzenz Gruppe, als Wertemanagerin dazu bei. Dabei stützt sie sich auf eine reiche Tradition. „Fünf Ordensgemeinschaften haben ihre Gesundheitseinrichtungen in die Vinzenz Gruppe eingebracht, damit ihre Werke weiterhin für die Menschen in Österreich wirksam bleiben“, erzählt Stampler. „Ihr Wirken war immer schon von christlichen Werten beseelt – vom wachen Blick auf die Nöte der Zeit, von barmherziger Liebe, sozialer Verantwortung, Gottvertrauen.“ Auch jetzt sei das Motivation und Kraft für das Engagement der Einrichtungen der Vinzenz Gruppe. „Und für viele ihrer Mitarbeiter*innen.“ Um dies zu stärken und zu inspirieren, habe man ein strukturiertes Wertemanagement eingeführt. „Zu dessen Aufgaben gehört es, gute Rahmenbedingungen zu schaffen, sodass diese Grundwerte den Krankenhausalltag auf vielseitige Weise prägen. Ebenso sorgt die interdisziplinär besetzte Wertegruppe dafür, dass Patient*innen wie auch Mitarbeitende spüren, dass das hier ein ,wert-voller‘ Ort ist.“
Die Werte machen den Unterschied
Ein solcher kennzeichne sich dadurch, dass Menschen sich hier aufgehoben fühlen und ihre Bedürfnisse gesehen und respektiert werden. Natürlich sei man vor allem ein Spitalsbetrieb mit all seinen fachspezifischen Notwendigkeiten und Herausforderungen. Das Herz-Jesu Krankenhaus, eine orthopädische Fachklinik mit hoher internistischer Expertise in Rheumatologie, Osteologie und Remobilisation, versorge rund 49.000 Patient*innen pro Jahr. „Im Gesundheitssystem sind Personalengpässe zurzeit ein großes Thema. Doch Menschlichkeit ist oft weniger eine Frage der Zeit als eine der Einstellung.“ Nehme man die Patient*innen in ihrer Ganzheit wahr, lasse sich selbst ein kurzer Kontakt wertschätzend und achtsam gestalten. So könne die gleiche Handlung in mehr oder weniger derselben Zeit plötzlich eine ganz andere Qualität gewinnen. „Gerade im hochprofessionellen und durchgetakteten Spitalsalltag lohnt es sich, sich bewusst eine Berührbarkeit und Offenheit zu bewahren. Dass das hier vielfach gelingt und sich die Patient*innen bei uns freundlich aufgenommen und gut aufgeklärt fühlen, bekommen wir häufig rückgemeldet. Solche positiven Interaktionen machen nicht zuletzt auch das Personal viel zufriedener.“ Mitarbeiter*innen bekämen Raum für Eigenverantwortung und die Entfaltung ihrer Potenziale, aber auch für Austausch und gemeinsame Reflexion. Zudem lege das Spital Wert auf Kollegialität und ein familiäres Arbeitsklima. „Meine Erfahrung ist, dass ein Miteinander allen guttut und dass dabei am meisten weitergeht.“
Stationen, die ihr das vor Augen geführt haben, hat die 37-jährige Steirerin bereits einige zurückgelegt. Ihre Laufbahn begann sie als Seelsorgerin im Breitenfurter Caritas-Pflegewohnhaus St. Bernadette und Koordinatorin der Wiener VinziWerke. Vier Jahre lang war sie Akademiker*innen- und Künstler*innenseelsorgerin im Pastoralamt der Diözese Linz und zwei Jahre Seelsorgerin und Trauerbegleiterin im Hospiz Rennweg. Vor Antritt ihrer Stelle im Herz-Jesu Krankenhaus hat sie bei der Caritas der Erzdiözese Wien den Bereich Seelsorge und Spiritualität geleitet und war parallel bei den Ordensgemeinschaften Österreich in den Bereichen Ordenscharisma und Kirchenpädagogik tätig. In ihrer neuen Funktion als Wertemanagerin des Herz-Jesu Krankenhauses sieht sich Stampler als Impulsgeberin. „Themen-Lead ist ein wichtiger Teil meines Aufgabenspektrums.“ Darüber hinaus ist sie für Ethik, Gewaltprävention und den Kontakt zum Orden zuständig und kümmert sich in Abstimmung mit dem Social Board um soziale Projekte. Gemeinsam mit der Wertegruppe erörtert sie außerdem regelmäßig, welche werterelevanten Themen im Haus gerade aktuell sind, um in der Folge darauf einzugehen. „Wertemanagement ist eine sehr facettenreiche Arbeit“, schildert sie. „Das kann vom Onboardingscoaching für Führungskräfte über Ukrainehilfe-Aktionen bis zur Organisation von Attentive-Care-Schwerpunkten reichen.“ Viel Augenmerk bekomme auch die Pflege der christlichen Kultur im Haus.
Erfahrung des Gottvertrauens stellte Weichen
Mit dieser ist die aus der Umgebung von Graz stammende Theologin aufgewachsen. Sie war begeisterte Ministrantin und besuchte das Gymnasium in Stift Rein, wo ein Priester, der regelmäßig Krankenhausbesuche machte, ein erstes Vorbild war. Dass die Empathie für kranke Menschen zu einer starken Triebfeder für ihre beruflichen Entscheidungen wurde, liegt aber auch an einem einschneidenden persönlichen Erlebnis: „Zwischen mündlicher und schriftlicher Matura musste ich mich einer schweren Operation unterziehen“, erzählt sie. „Zum Glück ging alles gut aus, aber ich werde das Gefühl des Getragenwerdens in dieser zeitweise völlig ungewissen Situation nie vergessen. Von irgendwoher kam eine Kraft und Zuversicht über mich, die mich da durchtrug.“ In der Rückschau scheinen bereits hier die Weichen zum Theologiestudium und der späteren Tätigkeit als Seelsorgerin gestellt. „Ich wollte herausfinden, was das eigentlich ist, das mich trägt.“ Was sich bald mit dem Wunsch verknüpfte, diese in der Erfahrung des Gottvertrauens liegende Kraft anderen näherzubringen.
"Meine Biographie und mein beruflicher Werdegang haben mir gezeigt, dass Spiritualität eine enorme Ressource ist", sagt Wertemanagerin Theresa Stampler.
In diesem Geist steht auch Stamplers mittlerweile zehnjährige Beschäftigung mit Spiritual Care. Die Disziplin an der Schnittstelle von Medizin, Theologie und Krankenhausseelsorge war bereits Thema ihrer Diplomarbeit an der Universität Graz, vor Kurzem hat sie im Wiener Kardinal-König-Haus eine Ausbildung in Spiritual Care Competency abgeschlossen. „Bei Spiritual Care geht es um einen offenen, humanistischen Spiritualitätsbegriff, der den christlichen wunderbar ergänzt.“ Er biete eine Basis, um alle Patient*innen, auch kirchenferne oder andersgläubige, bei der Auseinandersetzung mit Sinnfragen und in Bezug auf die existenziellen und spirituellen Dimensionen der Krankheitsverarbeitung zu begleiten. „Meine Biographie und mein beruflicher Werdegang haben mir gezeigt, dass Spiritualität eine enorme Ressource ist – für die gesamte Lebensführung, aber auch in Krisensituationen. Sie ist eine wichtige Säule der Gesundheit.“
Auch im Herz-Jesu Krankenhaus widmet Stampler die Hälfte ihres Vollzeitjobs der Seelsorge. „Der Mensch besteht aus mehr als aus einer Krankheit“, ist sie überzeugt. „Patient*innen sind besonders vulnerabel, weil plötzlich vieles über sie hereinbricht. Da können unterschiedlichste Gefühle hochkommen, und nicht notwendigerweise sind die Sorgen und Nöte immer nur medizinische.“ Jemanden zu haben, der darauf eingehe, trage zum Heil der Seele bei. „Und Heil und Heilung liegen nahe beeinander.“
Dasselbe Gespür für Transzendenz und Spiritualität steckt übrigens auch hinter Stamplers Bachelor in Kunstgeschichte, den sie neben dem Theologiestudium absolviert hat. „Kunst macht etwas mit uns“, veranschaulicht sie. Einerseits bringe sie uns in Berührung mit dem Menschlichen, selbst in seiner Zerbrochenheit und Verletztheit, andererseits lasse sie uns ahnen, wie das Heilsein aussehen könne. „Sie kann aufrütteln und verstören, aber ebenso die Schönheit einer gerettenen Welt und das Göttliche im Menschen evozieren.“ Dies sei erhebend und bewegend und für sie bis heute eine nie versiegende Quelle der Faszination. Eine Zeit lang hat sie dies auch weitergegeben, als Fremdenführerin durch Kirchen und als Kirchenpädagogin für Schulklassen. Und weil das Lernen und Vermitteln ebenfalls zu ihren Lebensthemen gehört, widmet sie ihre Freizeit nun neuerlich einer Ausbildung: zur Psychotherapeutin für Existenzanalyse und Logotherapie. „Das bereichert meine Arbeit in der Seelsorge, weil es mir zusätzliches Wissen zu psychodynamischen Hintergründen erschließt.“ Erholung findet die Vielbeschäftigte beim Bergsteigen und Weitwandern mit ihrem Partner. „Absichtslos zu gehen, wohin einen die Füße tragen, und offen zu sein für die Welt und für Begegnungen – das ist einfach herrlich.“
Text: Uschi Sorz; Foto: Magdalena Schauer
Theresa Stampler, Mag.
Seelsorgerin und Wertemanagerin im Herz-Jesu Krankenhaus in Wien
Stampler ist Magistra der Theologie, 2010 hat sie das Studium der katholischen Fachtheologie an der Universität Graz abgeschlossen. 2008 erwarb sie außerdem einen Bachelor of Arts im Fach Kunstgeschichte an der Universität Freiburg (Schweiz). Ihre ersten beruflichen Erfahrungen sammelte sie als Koordinatorin der VinziWerke Wien und als Seelsorgerin im Caritas-Pflegeheim St. Bernadette in Breitenfurt bei Wien. Danach war sie vier Jahre lang als Akademiker*innen- und Künstler*innenseelsorgerin im Pastoralamt der Diözese Linz tätig. Von 2017 bis 2019 arbeitete sie als Seelsorgerin im Hospiz am Rennweg, wo sie auch für Trauerbegleitung verantwortlich war. Von 2018 bis 2021 absolvierte sie ein psychotherapeutisches Propädeutikum in klientenzentrierter Psychotherapie und personenorientierter Gesprächsführung, zurzeit macht sie eine psychotherapeutische Ausbildung in der Fachrichtung Existenzanalyse und Logotherapie. Im Februar 2023 hat sie einen Lehrgang für Spiritual Care Competency im Kardinal-König-Haus abgeschlossen. Seit Jänner 2023 ist sie Seelsorgerin und Wertemanagerin im Herz-Jesu Krankenhaus in Wien.