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Gesundheit
Österreich
20.04.2023

Die Zukunft der Chemotherapie

80 Jahre nachdem der Grundstein für Chemotherapie gelegt wurde, ist sie weiterhin ein Grundpfeiler der Krebsbehandlung. Welche Rolle Chemotherapie in der Zukunft spielen wird beleuchtet OÄ Dr. Sigrid Machherndl-Spandl, Leiterin des Hämatoonkologischen Zentrums des Ordensklinikum Linz.

„Die klassische Chemotherapie ist weiterhin bei manchen onkologischen Erkrankungen die Erstlinien-Therapie oder Standard-of-Care“, erklärt Sigrid Machherndl-Spandl vom Ordensklinikum Linz. „Obwohl viele zielgerichtete Therapien und Immuntherapien eingesetzt werden, können wir noch nicht bei allen Krebsarten auf die klassische Chemotherapie verzichten.“ Auf Chemotherapie zu verzichten würde bedeuten, die unspezifischen Nebenwirkungen der Therapie – Übelkeit, Haarausfall, erhöhte Infektionsgefahr – zu verringern. 

Neue Therapieformen

„Die Krebstherapie entwickelt sich immer weiter in Richtung der Präzisionsonkologie“, betont Machherndl-Spandl. In den letzten Jahren hat sich die Diagnostik stark verbessert, so dass ein regelrechtes „Profiling“ des Tumorgewebes oder der hämatologischen Erkrankung erfolgt. Damit werden Zielstrukturen im Tumor gefunden, an denen die Therapie ansetzen kann und das Tumorgewebe oder die hämatologische Erkrankung gezielt bekämpft. Zielgerichtete Therapien wirken auf intrazelluläre Signalwege oder Oberflächenrezeptoren ein, die in Krebszellen verändert oder anders vorhanden sind als in normalen Zellen. Damit attackieren sie hauptsächlich Krebszellen und nicht, wie die Chemotherapie, alle sich teilenden Zellen.

Viele Phase 3-Studien sind am Laufen, die diese zielgerichteten Therapien gegen herkömmliche Chemotherapie vergleichen. „Wenn diese Therapien keine Unterlegenheit zeigen oder sogar besser sind, werden sie zugelassen“, erklärt Machherndl-Spandl. Eine typische Erkrankung, bei der viele verschiedene Mutationen nachweisbar und bereits zahlreiche speziell gegen diese Targets gerichtete Therapien zugelassen sind, ist das Adenokarzinom der Lunge. „Hier stehen schon für rund die Hälfte der Patientinnen und Patienten sogenannte „small molecules“ zur Verfügung, die das Überleben verbessern und typischerweise als Tablette einzunehmen sind.“ 

Vereinfachte Einnahme

Eine weitere Alternative zur Chemotherapie ist die Immuntherapie. Vor allem Checkpoint-Inhibitoren sind bei soliden und hämatologischen Erkrankungen im Einsatz und stimulieren das Immunsystem, den Tumor anzugreifen. Bei hämatologischen Erkrankungen geht die Entwicklung weiter in Richtung der CAR-T-Zelltherapie. Hier werden körpereigene T-Zellen über einen Virusvektor so verändert, dass sie Tumor- bzw. Leukämie-Zellen angreifen. „Auch hier gehen wir immer weiter in die Richtung, die unspezifische Chemotherapie zu ersetzen.“ 

"Während die Chemotherapie über mehrere Stunden beziehungsweise über mehrere Tage verabreicht werden muss, kann orale zielgerichtete Therapie ambulant verabreicht werden", erklärt Sigrid Machherndl-Spandl.

Ein weiterer Vorteil sowohl der zielgerichteten Therapien als auch der Immuntherapie ist die einfache Einnahme. „Während die Chemotherapie über mehrere Stunden beziehungsweise über mehrere Tage verabreicht werden muss, kann orale zielgerichtete Therapie ambulant verabreicht werden. Die Patienten werden ambulant kontrolliert, es sind keine längeren stationären Aufenthalte notwendig“, berichtet Machherndl-Spandl. Auch Infusionen zur Immuntherapie haben meist nur eine kurze Laufzeit und können tagesklinisch und im Abstand von zwei bis drei Wochen verabreicht werden, für CAR-T-Zelltherapie allerdings sind längere stationäre Aufenthalte notwendig. 

Obwohl zielgerichtete Therapien und Immuntherapien nicht mit unspezifischen Nebenwirkungen wie etwa Haarausfall einhergehen, so sind die Therapien doch nicht nebenwirkungsfrei, betont Machherndl-Spandl. „Auch chemotherapiefreie Behandlungen haben Nebenwirkungen, bei zielgerichteter Therapie können etwa Hautausschläge oder Durchfälle auftreten. Zielgerichtete Therapien sind also nicht ohne Nebenwirkungen, aber sie sind insgesamt besser verträglich als konventionelle Chemotherapie.“ 

Angenehmere Behandlung ermöglichen

Durch die schnellen Entwicklungen im Gebiet der Krebstherapie ist es wichtig, dass alle Patientinnen und Patienten nach den neuesten Standards therapiert werden – unabhängig davon, wo ihre Diagnose gestellt wurde. „Als Ordensklinikum sind wir ein onkologisches Leitspital, andere Spitäler in Oberösterreich können sich in Tumor-Boards dazuschalten und Expertise austauschen. Außerdem aktualisieren wir jährlich gemeinsam die Therapiestandards unserer Häuser“, erklärt Machherndl-Spandl. „So werden Patientinnen und Patienten wohnortnah behandelt, gleichzeitig wird gewährleistet, dass sie überall die gleichwertige Therapie erhalten, die Meinung von Fachexpertinnen und -experten hinzugezogen wird und, wenn spezielle Studien verfügbar sind, auch Patientinnen und Patienten aus kleineren Häusern den gleichen Zugang zu innovativen Therapien haben.“ 

Durch die Weiterentwicklung der Krebstherapien werden Krankenhaus-Aufenthalte reduziert, Patientinnen und Patienten haben mehr ambulanten Therapiemöglichkeiten. Trotzdem ist es wichtig, auch diese Aufenthalte so angenehm wie möglich zu gestalten, erklärt Machherndl-Spandl. Am Ordensklinikum wird versucht, den Patientinnen und Patienten möglichst viel Privatsphäre zu bieten und – auch angespornt durch COVID-19 – größere Menschenansammlungen zu vermeiden. „Für den stationären Bereich konnten wir gewährleisten, dass onkologische PatientInnen vorwiegend in Einzel- und Zweibettzimmern untergebracht sind.“ Während des stationären Aufenthalts werden unterstützende Therapien wie Kunsttherapie, Psychotherapie und Physiotherapie angeboten. 

Auch für ambulante Behandlungen wird auf eine ruhige Atmosphäre geachtet. „Wir staffeln die ambulanten Therapien so, dass nie zu viele Personen gleichzeitig behandelt werden. Bei Umbauten wird berücksichtigt, genügend Privatsphäre und Rückzugsmöglichkeiten zu schaffen.“ Außerdem werden Patientinnen und Patienten auch im Rahmen von Ambulanzbesuchen mit anderen Disziplinen vernetzt, so sind etwa zusätzliche Termine mit Expertinnen und Experten der Physiotherapie, Psychologie oder der Sozialarbeit möglich.

Text: Sophie Fessl; Foto: www.depositphotos.com

Sigrid Machherndl-Spandl, Dr.

Oberärztin an der Abteilung für Innere Medizin 1 des Ordensklinikums Linz

Nach dem Beginn der Turnusausbildung im Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern wechselte Machherndl-Spandl im Oktober 2000 zu den Elisabethinen an die Hämato-Onkologie. Fachärztin für Innere Medizin seit 2008, Zusatzfach für Hämato-Onkologie seit 2010, Zusatzfach für Intensivmedizin seit 2017. Ihr Schwerpunkt liegt in der Hämatologie, vor allem die Behandlung akuter Leukämien und anderer maligner Knochenmarks- und Bluterkrankungen inklusive autologer und allogener Stammzell-Transplantation. Machherndl-Spandl ist verheiratet und Mutter einer Tochter.

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