
Weil Bakterien im Laufe der Zeit Resistenzen entwickeln, verlieren immer mehr Antibiotika an Wirksamkeit. Welche Folgen das hat und welche Maßnahmen jetzt notwendig sind erläutert Prof. Ojan Assadian, Ärztlicher Direktor am Klinikum Wiener Neustadt.
Text: Rosi Dorudi
Antibiotika zählen zu den wichtigsten Arzneimitteln der modernen Medizin. Ohne sie wären Organtransplantationen, Krebstherapien oder selbst einfache chirurgische Eingriffe mit erheblichen Risiken verbunden. Doch ihre Wirksamkeit schwindet – die WHO warnt bereits vor einer „stillen Pandemie“. Eine wesentliche Ursache dafür ist der unbedachte Antibiotikaeinsatz: Häufig werden die Medikamente falsch verschrieben, ohne dass eine genaue Diagnose vorliegt oder ihre Anwendung tatsächlich notwendig wäre. Das Problem dabei: Jeder Einsatz fördert die Resistenzbildung. „Grundsätzlich stellen Antibiotikaresistenzen ein natürliches Phänomen dar“, erklärt Univ.-Prof. Dr. Ojan Assadian, Facharzt für Hygiene und Mikrobiologie mit Additivfach Infektiologie, Tropenmedizin und Ärztlicher Direktor am Klinikum Wiener Neustadt. Einige Bakterien seien von Natur aus unempfindlich gegenüber bestimmten Wirkstoffen, andere entwickelten Resistenzen durch zufällige Mutationen oder den Austausch von Resistenzgenen mit anderen Bakterien. „Kurz gesagt: Empfindliche Bakterien sterben bei Gabe von Antibiotika ab, während robuste überleben und sich weiterverbreiten. Je häufiger Antibiotika also eingesetzt werden, desto stärker werden resistente Keime selektiert“, so Assadian. Das Risiko einer Übertragung dieser resistenten Mikroorganismen sei besonders in Gesundheitseinrichtungen erhöht. „Etwa fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung in Mitteleuropa tragen multiresistente Gram-negative Bakterien, zumeist ohne Symptome – sie verursachen keine Beschwerden“, erläutert Assadian. Problematisch wird es erst, wenn betroffene Personen aufgrund einer Erkrankung oder Behandlung ein geschwächtes Immunsystem haben und Antibiotika erhalten müssen. Dann können diese zuvor harmlosen Bakterieninfektionen auslösen, gegen die nur noch wenige Medikamente wirken. „Werden Präventions- und Hygienemaßnahmen in Gesundheitseinrichtungen dann nicht konsequent umgesetzt, können sich diese resistenten Bakterien rasch auf andere Patient*innen übertragen", warnt der Experte.
Um der zunehmenden Resistenzentwicklung entgegenzuwirken, hat das österreichische Gesundheitsministerium im September 2024 den Qualitätsstandard „Antiinfektiva-Anwendung in Krankenanstalten" veröffentlicht, an dessen Ausarbeitung Assadian als externer Gutachter beteiligt war. Die zwölf darin formulierten Empfehlungen sollen helfen, Antibiotika gezielter und verantwortungsvoller einzusetzen – mit dem Ziel, Patient*innensicherheit zu erhöhen und resistenten Bakterien weniger Raum zu geben. Ein zentraler Bestandteil des Qualitätsstandards ist die empfohlene Einführung sogenannter Antimicrobial-Stewardship-Programmes, die spezielle Teams für Antibiotic Stewardship (ABS) vorsehen. „Diese interdisziplinären ABS-Teams unterstützen andere Ärzt*innen bei komplexen Infektionsfällen und helfen, die bestmögliche Therapieentscheidung zu treffen, ähnlich wie Tumorboards in der Onkologie“, so Assadian.
Am Universitätsklinikum Wiener Neustadt wurde ein solches ABS-Team im Rahmen eines zweijährigen Pilotprojekts aufgebaut. Mit messbarem Erfolg: Mittlerweile wurden bis zu 35 komplexe Infektionsfälle pro Woche mit einer signifikant verbesserten Therapiequalität und Reduktion des Gesamtantibiotikaverbrauchs betreut, teilweise auch aus umliegenden Krankenhäusern. Dennoch musste das Projekt beendet werden, weil die Finanzierung auslief. „Hygiene und Infektionsprävention haben trotz ihrer hohen Bedeutung noch immer keinen ausreichenden Stellenwert, weder in der Wahrnehmung noch im Budget“, bedauert Assadian. Dabei seien gerade diese Strukturen entscheidend, um den Antibiotikaeinsatz zu steuern und die Entstehung weiterer Resistenzen einzudämmen.

Hygiene und Infektionsprävention haben trotz ihrer hohen Bedeutung noch immer keinen ausreichenden Stellenwert, weder in der Wahrnehmung noch im Budget.
Univ.-Prof. Dr. Ojan Assadian
Doch was tun, wenn herkömmliche Antibiotika nicht mehr wirken? „In den allermeisten Fällen sind Infektionen weiterhin behandelbar“, betont Assadian. Voraussetzung sei jedoch spezialisierte Diagnostik, eine präzise Festlegung der optimalen Dosierung sowie – wenn nötig – der Einsatz von Wirkstoffkombinationen. Das Problem dabei: „Dieser differenzierte Umgang erfordert Expertise, die nicht überall verfügbar ist“, sagt Assadian. Doch selbst mit optimaler Diagnostik und Therapie stoßen Mediziner*innen an Grenzen – weshalb neue Wirkstoffe weiterhin benötigt werden. „In den frühen 2000er-Jahren galt die Entwicklung neuer Antibiotika im Vergleich zu Onkologika als wirtschaftlich wenig attraktiv, weshalb mehrere Pharmakonzerne ihre Forschung einstellten“, erzählt Assadian. Erst die verstärkte Forderung infektiologischer Fachgesellschaften habe wieder Bewegung in das Feld gebracht. „In den vergangenen Jahren wurden tatsächlich mehrere neue Substanzen mit innovativen Wirkmechanismen wie beispielsweise Cefiderocol, Ceftazidim-Avibactam, Delafloxacin oder Meropenem-Vaborbactam zugelassen, die wir in Wiener Neustadt erfolgreich einsetzen.“ Diese Fortschritte seien jedoch empfindlich. „Denn auch hier gilt: Jeder Antibiotikaeinsatz fördert die Resistenzbildung, insbesondere, wenn sie breitwirksam oder über längere Zeiträume eingesetzt werden.“ Um die Wirksamkeit von Antibiotika langfristig zu erhalten, braucht es daher einen sorgfältigen und verantwortungsvollen Umgang mit den vorhandenen antimikrobiellen Wirkstoffen – im Gesundheitswesen durch gezielte Verschreibungspraxis, in der Gesellschaft durch Bewusstseinsbildung. „Nur so können wir verhindern, dass sich resistente Bakterien weiter ausbreiten“, betont Assadian.
Um dieses Bewusstsein zu stärken, organisiert die WHO seit 2010 jährlich die „World Antibiotic Awareness Week“. Ergänzend dazu findet in Europa am 18. November der Europäische Antibiotikatag statt – initiiert vom Europäischen Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (E-CDC). Beide Kampagnen sollen verdeutlichen, wie entscheidend ein verantwortungsvoller Antibiotikaeinsatz ist, damit diese lebenswichtigen Medikamente auch in Zukunft wirken.
Fotos: Titelbild (c) privat; Testimonial (c) Raphaela Raggam