Das weibliche Gehirn stellt sich auf die Schwangerschaft genauso wie auf die Menopause ein. Die Veränderungen sind in Hirnscans sichtbar. Doch die Forschung steht erst am Anfang.
Text: Karin Lehner
Dass Frauen die Fähigkeit zum Multitasking besitzen, ist bekannt. Ein Grund dafür könnte in ihrem Gehirn zu finden sein, denn das punktet in allen Phasen des Lebens mit Flexibilität, von der Schwangerschaft bis zur Menopause. Das Forschungsgebiet von Univ.-Prof. Dr. Guilherme Maia de Oliveira Wood, Neuropsychologe vom Institut für Psychologie der Universität Graz: „Wenn Frauen ein Baby erwarten, verändern die Hormone Östrogen und Oxytocin die Gehirn-Anatomie im limbischen System und Hippocampus, die für das Lernen, die Emotion und Bindung zuständig sind. Es kommt zur einer Veränderung in neuronalen Zellen.“ Das dient der Vorbereitung auf das Leben mit einem Kind.
Sichtbar werden die Anpassungen im Hirn-Scan. Die graue Masse in neuronalen Netzwerken von Schwangeren wird geringer, andere Teile verstärken sich wiederum. Zum Beispiel die Amygdala, das Zentrum des Gehirns, und Teile des Default Mode Networks, des Ruhezustandsnetzwerks. Während sich ein Teil der Veränderungen nach der Geburt wieder in den Ursprungszustand zurückbildet, bleiben andere weiterhin bestehen. „Schließlich verlangt ein Kind lebenslange Bindung“, so Maia de Oliveira Wood.
Grundsätzlich sind plastische Veränderungen im Gehirn nichts Ungewöhnliches. Sie passieren bei allen Menschen ständig, beispielsweise bei einprägenden Ereignissen oder in Lernprozessen. Auch bei Männern, mit dem Abfallen des Testosteronspiegels im Alter. Wie Hirn-Scans zeigen, sind sie bei Frauen nur stärker im Fokus von Forscher*innen, weil ihr Leben ständige Anpassung verlangt. So auch in der Menopause. In Österreich befinden sich derzeit fast eine Million Frauen zwischen 40 und 59 Jahren in den Wechseljahren. Etwa zwei Drittel leiden unter mäßigen bis schweren Beschwerden. Und schuld daran ist ausgerechnet das Gehirn, das viele damit nicht in Verbindung bringen.
Durch den plötzlichen Östrogenabfall spielen hier die Regionen verrückt, die seit Jahrzehnten als Docking-Station für Hormone bereitstanden, damit in Kopf und Körper alles rund läuft. Über den die Körpertemperatur regelnden Hypothalamus kann der sinkende Östrogenspiegel nun zu Hitze-wallungen führen. Im Hippocampus wirkt sich der Verlust des Hormons auf das Gedächtnis und die Kognition aus. Eine Störung im System meldet auch die empfindsame Amygdala, der präfrontale Kortex, der an Entscheidungsfindung, Aufmerksamkeit, Multitasking und Sprache beteiligt ist. Sogar der Hirnstamm, der den Schlaf-Wach-Zyklus in Schach hält, muss sich neu sortieren. Ein grobes Durcheinander, das der Körper erst einmal bewältigen muss.
Ob Hormonersatztherapien auch dem Menopause-Gehirn Linderung verschaffen, ist Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen. Maia de Oliveira Wood blickt auf eine alte Studie zurück, an der er als Doktorand beteiligt war. Sie untersuchte Menschen vor und nach einer Geschlechtsumwandlung. Das Ergebnis: „Einige Monate intensive Hormontherapie beeinflussten das Gehirn massiv. Bei Männern sahen wir plötzlich typische Veränderungen wie bei Frauen und umgekehrt.“
Durch die fehlende Plastizität des Gehirns nach der Menopause ist es weniger vor Stress geschützt, der verstärkt wird.
Univ.-Prof. Dr. Guilherme Maia de Oliveira Wood
Bis zur Menopause schützt der Östrogenspiegel das Gehirn vor Entzündungen. „Das beeinflusst seine Konnektivität und beeinträchtigt auch die Neurotransmitter“, erläutert Maia de Oliveira Wood. „Dopamin für den Anrieb, Acetylcholin für Lernen und Schlafrhythmus sowie Serotonin für Stimmung und Schlafqualität.“ Das äußere sich in Stimmungsschwankungen und Vergesslichkeit. Symptome des berühmen Menopause-Gehirns, das tatsächlich existiert. Dr.in Lisa Mosconi, Professorin für Neurologie und Radiologie sowie Leiterin des Alzheimer-Präventionsprogramms am Weill Cornell Medicine/NewYork-Presbyterian Hospital, widmete ihm sogar ein Buch („The Menopause Brain“). „Wir sind nicht verrückt. Wir verlieren nicht den Verstand“, gibt die Neuropsychologin Entwarnung. „Das ist nur die Menopause.“
Eine Studie aus dem August 2024 stellte einen Zusammenhang zwischen schweren Wechseljahre-Beschwerden und kognitiven Beeinträchtigungen fest, allerdings nur bei älteren Frauen. Auch der Brain Fog ist vielen Frauen in den Wechseljahren bekannt. Sie sind leicht ablenkbar, ringen um Worte, Namen, Details und Erinnerungen sind zeitweise Schall und Rauch. Doch Maia de Oliveira Wood beruhigt. „Die Nebel lichten sich wieder. Darunter leiden Frauen nur während der hormonellen Anpassung.“
Andere kognitive Veränderungen bleiben hingegen bestehen. Gehirn-Scans zeigen deutlich, dass das Volumen der grauen Substanz in den Bereichen für Aufmerksamkeit, Konzentration und Sprache bei Frauen in der Menopause kleiner sei. Viele fühlen sind besorgt, plötzlich an Demenz oder Alzheimer zu leiden. Doch Mosconi weiß: „Die Menopause ist keine Demenz.“ Diese sei vor Mitte 60 äußerst selten.
Laut Maia de Oliveira Wood steige das Risiko für eine Erkrankung durch den Östrogenabfall jedoch an: „Eine gewisse Fragilität ist typisch für die Gehirnaktivität nach der Menopause, denn durch die fehlende Plastizität ist es weniger gut vor Stress geschützt, der plötzlich verstärkt wirkt.“ Er plädiert dafür, Druck aus dem System zu nehmen, also Stress zu vermeiden. Basis ist ein gesunder Lebensstil mit nur wenig Alkohol und ohne Zigaretten, frischem mediterranem Essen statt industriell hochverarbeiteten Fertigprodukten und einem regen Sozialleben: „Das Rezept für Glück“, so Maia de Oliveira Wood, auch wenn ein niedriger Östrogenmangel langfristige Konsequenzen für das Gehirn habe.
Frauen besitzen nach der Menopause zwar ein bisschen weniger Nervenfasern in Form weißer Substanz und haben weniger Glukosestoffwechsel, dafür aber mehr zerebralen Blutfluss und eine höhere Produktion von Adenosintriphosphat für aktive Zellen. „In Summe also genug Ressourcen für das Gehirn“, bilanziert de Oliveira Wood. Auch Mosconis Forschungen zeigen: Die meisten Frauen schneiden bei kognitiven Tests besser ab als viele Männer, selbst in der übelsten Nebel-Phase.
Fotos: © Freepic (Titelbild); © Josephine Seeger Wood (Expertenbild)