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Für Sie gelesen: Leichen lügen nicht

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Leichen lügen nicht, aber sie verraten alles. Walter Rabl, einer der renommiertesten Gerichtsmediziner Österreichs, hat mit Journalistin und Autorin Birgit Kofler-Bettschart ein Buch über Fälle und Fakten aus der Gerichtsmedizin vorgelegt.

Text: Birgit Weilguni

Sie sind wahrhaftiger „Krimi-Profi“ und kennen alle Tricks der ausgefuchstesten Verbrecher*innen? Wenn Sie sich da nur nicht täuschen. Vieles, was leidenschaftliche Krimi-Aficionados als erlerntes „Fachwissen“ betrachten, ist nämlich in Wirklichkeit ganz anders – oder sogar ausgekochter Unfug.

Gerichtsmediziner*in oder doch Patholog*in?

Das beginnt schon mit der Funktion, erklärt Gerichtsmediziner Walter Rabl. Wenn „Tatort“-Gerichtsmediziner Professor Börne noch vor Kommissar Thiel die Leiche begutachtet und dem Kollegen bereits sagen kann, dass der Tod zwischen Mitternacht und ein Uhr Früh eingetreten ist, dann gehört das ins Reich der Mythen. Die Erstbesprechung neben der Leiche in der Pathologie, die sich im Keller des Kommissariats befindet, wird in Österreich auch ziemlich sicher so nicht stattfinden, denn „im deutschsprachigen Raum sind Pathologie und Gerichtsmedizin zwei eigenständige medizinische Fächer mit unterschiedlichen Aufgabengebieten und unterschiedlichen Facharztausbildungen“, wie Rabl klarstellt. „Die Expertise des Gerichtsmediziners kommt ins Spiel, wenn rechtliche Fragen mithilfe von medizinischen, histologischen, chemisch-toxikologischen oder molekularbiologischen Erkenntnissen beantwortet werden sollen. Wir sind für die Untersuchung fremdverschuldeter Todesfälle, für Fälle von plötzlichem Tod unklarer oder eindeutig nicht-natürlicher Ursache oder ärztliche Fehlbehandlungen mit Todesfolge zuständig.“

Noch weitaus öfter beschäftigen sich Gerichtsmediziner*innen aber mit Lebenden, sie verbringen nur etwa fünf Prozent ihrer Arbeitszeit mit Obduktionen und werden – etwa in Tirol und Vorarlberg – nur zehn- bis 15-mal jährlich an einen Leichenfundort gerufen. Die Gerichtsmedizin Innsbruck als größtes gerichtsmedizinisches Institut in Österreich, führt pro Jahr etwa 600 bis 650 Obduktionen durch, aber rund 1.000 Gerichtsgutachten und rund 4.500 toxikologische Fälle. Der überwiegende Teil der Fälle dreht sich nämlich um Alkohol- und Drogenuntersuchungen aus Verkehrskontrollen und -unfällen, Proben aus Intensivstationen oder verdächtigen Substanzen. Außerdem mehr als 10.000 DNA-Analysen pro Jahr, verdächtige Verletzungen im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt, Sexualdelikten oder Kindesmisshandlung. Auch Vaterschafts-Feststellungen und Fragen der Verhandlungsfähigkeit oder Vollzugstauglichkeit beschäftigen Gerichtsmediziner*innen.

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Von natürlichen Todesfällen bis Mord

Rabl und seine Co-Autorin verstehen es, gruselige Fälle mithilfe von wissenschaftlichen Fakten zu erklären. Manchmal erörtert der Gerichtsmediziner sogar Fragen im Selbstversuch – etwa, wie sich die Ohrtemperatur gegenüber der Körperkerntemperatur angesichts der Eruierung des Todeszeitpunkts verhält oder ob Gift in einem intensiv schmeckenden Getränk verborgen werden kann. Faszinierend auch die Schilderung des Lazarus-Effekts, wenn Kreislauf und Atmung nach einem vermeintlichen Tod wieder spontan einsetzen, die Erklärungen, warum unsere Abwässer viel verraten oder welche Rolle das Licht, der Geräuschpegel und die Gerüche im Obduktionsraum spielen. Optische Identifizierungen, wie sie in Krimis oft vorkommen, gelten de facto als „Kunstfehler“ und ein Giftmord wird schneller aufgedeckt, als Täter*innen lieb ist.

Leser*innen erfahren darüber hinaus, was die Gerichtsmedizin mit der Bergsteigerlegende Reinhold Messner zu tun hat, wie Katastrophenopfer identifiziert werden, warum beim Verkehrsunfalltod eines prominenten Kärtner Politikers Verschwörungstheorien keine Chance haben oder wie beim bekannten Schleudertrauma manchmal getrickst wird.

Erfahrungen, die selbst erfahrene Gerichtsmediziner*innen überrascht haben, erzählt Rabl mit Hingabe: Schwurbler, deren Tricks sie selbst überführt haben, vermeintliche Verkehrsunfallopfer, die tatsächlich an einem Herzinfarkt starben, oder Menschen, die sich als Gewaltopfer darstellten, dabei hatten sie sich selbst verletzt. Er erklärt, was eine „Scheidung alpin“ ist, wie die Gerichtsmedizin „Cold Cases“ löst und warum es höchst problematisch ist, dass die Zahl der Obduktionen stetig im Sinken begriffen ist. Immerhin legen internationale Studien nahe, dass möglicherweise jedes zweite Fremdverschulden als natürlicher Tod durchgeht.

Den perfekten Mord gibt es nicht

Aber: Auch wenn es alles in allem immer weniger Obduktionen in Österreich gibt, können Gerichtsmediziner*innen in den meisten Fällen damit Licht ins Dunkel bringen. Sie klären, woran vermeintlich gesunde Menschen tatsächlich gestorben sind, ob ein Suizid vorliegt oder vielleicht doch jemand nachgeholfen hat, ob ein Mensch an einer genetischen Erkrankung gelitten hat, die auch Angehörige treffen kann, wer der unbekannte Tote ist, oder sie decken Giftmorde zuverlässig auf. Rabl schildert aber auch für Personen aus dem Gesundheitswesen wie auch Laien, wie man häusliche Gewalt erkennt, bevor sie in einen Femizid mündet, und was tatsächlich beim Ertrinken, Erfrieren, Ersticken oder Erhängen passiert.

Walter Rabl räumt vor allem mit den vielen Mythen und Irrtümern auf, denen ahnungslose Laien Krimi-bedingt aufsitzen. Giftmorde sind weder „weiblich“ noch schwierig zu klären, Brandopfer sterben meist an Rauchgasvergiftung und Kältetote werden oft nackt entdeckt. Die Todesstrafe durch Erhängen sei ein besonders grausamer Tod, betont Rabl in einem äußerst fesselnden Kapitel. Die Details und Erläuterungen sind in dieser Neuerscheinung nachzulesen, daher möchte ich sie nicht vorwegnehmen. Doch Vorsicht: Einmal in die erschütternden bis skurrilen Geschichten hineingekippt, lässt einen dieses Buch nicht so schnell wieder los. Und danach ist die Verlockung groß, die Ermittlungsfehler, Unwahrheiten und Denkfehler aufzudecken, die in alltäglichen Krimis verbreitet werden.

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Cover "Leichen lügen nicht"

Walter Rabl, Birgit Kofler-Bettschart. Leichen lügen nicht. Fälle und Fakten aus der Gerichtsmedizin. Ueberreuter Verlag Wien 2025, € 24,00

Fotos: Titelbild und Galerie: Ueberreuter Verlag/Maria Tutschek; Cover: Ueberreuter Verlag

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