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Infektionserkennung per KI

Versorgung
Innovation & Forschung

Künstliche Intelligenz warnt im Krankenhaus Barmherzige Schwestern Ried vor Wund- und Harnwegsinfekten. Es ist das erste Spital im deutschsprachigen Raum mit dem innovativen Programm.

Text: Karin Lehner

Drei bis vier Prozent aller Patient*innen erleiden in österreichischen Krankenhäusern pro Jahr eine nosokomiale Infektion. Zum Beispiel Harnwegsinfekte durch Langzeitkatheter, postoperative Wundinfektionen, Pneumonien oder Sepsis, aber auch Infektionskrankheiten durch Grippe-, SARS-CoV-2- oder Noroviren. Was individuell nach einem kleinen Problem klingt, ist gesamtgesellschaftlich betrachtet ein großes.

Damit beschäftigt sich Ulrike Niedermüller, Fachärztin für Neurologie und Leiterin des Hygieneteams im Barmherzige Schwestern Krankenhaus Ried. Dank des vom tschechischen Startup Datlowe entwickelten KI-Systems HAIDI® zur automatischen Früherkennung nosokomialer Infektionen konnte die Rate laut der Oberärztin deutlich reduziert werden. „Vor Einführung lag sie im Schnitt bei 2,2 Prozent, jetzt durchschnittlich bei 0,9 Prozent.“ Doch der größte Vorteil äußere sich im Zeitvorsprung bei der Diagnose. „Vorher erfassten wir nosokomiale Infektionen nur punktuell mit Zettel sowie Stift und erkannten Wellen nur mit Zeitverzögerung. Jetzt bilden wir die Echtzeit ab, mit tagesaktuellen Daten von allen Stationen.“

HAIDI® durchforstet einmal täglich alle relevanten Daten von Patient*innen, Labor- und Radiologie-Befunde, Aufnahme- und Entlassungsbriefe sowie OP- und Pflegeberichte. Mittels eines Algorithmus, der sich unter anderem auf Daten des European Center for Disease Prevention and Control (ECDC) und des Krankenhaus-Infektions-Surveillance-System (KISS) stützt, spielt das Programm Infektions-Feuerwehr. Es erkennt frühzeitig Cluster und weist auf Patient*innen mit Verdacht auf eine Krankenhausinfektion hin.

„Am Ende bewertet und entscheidet aber immer das Hygieneteam“, betont Niedermüller. Erkennt es einen Cluster, beispielsweise auf einer Station mit vielen älteren und vulnerablen Patient*innen, wird rasch an kleinen Schrauben gedreht, um eine größere Ausbreitung zu verhindern. Eine besondere Herausforderung sei die Kommunikation mit den betroffenen Abteilungen. „Dabei geht es nicht um das Aufdecken von Fehlern. Wir zeigen nicht mit dem Finger auf andere, sondern helfen bei der Infektionsvermeidung.“ Dies unter anderem mit Hygienevisiten und konkreten Empfehlungen für Pflegende und Ärzt*innen. Das Hygieneteam benötigt für die Datenanalyse via HAIDI® täglich zehn bis 20 Minuten. Die Investition lohnt sich in mehrfacher Hinsicht.

Christoph Spann (c) BH BHS Ried/Hinrschrodt

HAIDI bildet nosokomiale Infektionen in Echtzeit ab, mit tagesaktuellen Daten von allen Stationen.

Oberärztin Dr.in Ulrike Niedermüller

Fachärztin für Neurologie und Leiterin des Hygieneteams im Barmherzige Schwestern Krankenhaus Ried

Das Krankenhaus Barmherzige Schwestern Ried verzeichnete 2024 etwa 30.000 stationäre Aufnahmen. Durchschnittlich waren Patient*innen 3,9 Tage im Spital. „Mit einer nosokomialen Infektion verlängerte sich der Aufenthalt im Schnitt auf bis zu 24 Tage. Hier zeigt sich, wie relevant deren Verhinderung ist, für die Gesundheit von Patient*innen ebenso wie im wirtschaftlichen Sinne, denn sie verursachen Kosten“, bilanziert Niedermüller. Postoperative Wundinfektionen können beispielweise zu zusätzlichen chirurgischen Eingriffen führen, bedingen einen intensiveren Pflegeaufwand, können die Zunahme von antibiotikaresistenten Erregern zur Folge haben sowie eine erhöhte Morbidität und Mortalität. In Deutschland sterben bei 400.000 bis 600.000 nosokomialen Infektionen pro Jahr rund 10.000 bis 15.000 Patient*innen daran.

Die „CSI Ried“, wie Niedermüller ihr Team nennt, detektierte im ersten Halbjahr 2024 auf einer Abteilung im Vergleich zu den Vorjahren eine Zunahme postoperativer Wundinfektionen. Im Rahmen von Hygienevisiten werden laut Niedermüller alle Prozesse betrachtet und auf Auffälligkeiten überprüft, beispielsweise OP- und Infektionsdatum, OP-Saal, Operateur*in, OP-Team, Pflege und mikrobiologische Erreger. „Alle Patient*innen mit nosokomialen Wundinfektionen hatten einen deutlich erhöhten Body-Mass-Index und wurden dadurch zu Risikopatient*innen“, so Ulrike Niedermüller.

Das Krankenhaus Barmherzige Schwestern Ried setzt auf auch auf weitere neue Technologien, die Mitarbeiter*innen in ihrer täglichen Arbeit unterstützen. So wird hier über digital vernetzte Händedesinfektionsspender zur Erhöhung der Anzahl vom Händedesinfektionen motiviert. Anfangs gab es noch Probleme mit der Sprache, besonders mit österreichischen Begriffen, doch das KI-System lernt jeden Tag dazu. So sollen künftig auch Cluster-, Outbreak- und Antibiotika-Analysen möglich sein sowie Schnittstellen zu KISS und die Einbindung der klinischen Software MEONA.

Bis auf Ried ist HAIDI® bislang nur in 30 Spitälern in Tschechien und der Slowakei im Einsatz. Demnächst werden auch Krankenhäuser der Vinzenz Gruppe in Wien dazukommen. Inzwischen zeigen auch andere Krankenhäuser im deutschsprachigen Raum Interesse an einer Kooperation mit dem Rieder Hygieneteam. Denn eine niedrige Rate nosokomialer Infektionen wird zunehmend zur Benchmark für Krankenhäuser und Einrichtungen.

Fotos:  © KH BHS Ried/ Rambossek

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