Arbeitsmedizinerin Eva Höltl © ERSTE Stiftung /Valerie Maltseva
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„Prävention in Firmen verankern“

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Versorgung

Arbeitsmedizinerin Eva Höltl sieht am Arbeitsplatz ungenutztes Potenzial für Gesundheitsföderung und Prävention. Steuerung und Finanzierung von Vorsorge aus einer Hand könnten eine große Chance sein.

Interview: Karin Lehner

Sie sagten einmal, der Arbeitsplatz sei jener Ort, an dem sich täglich vier Millionen Menschen aufhalten, die sich durch Präventionsangebote erreichen ließen. Warum der Konjunktiv? 

Eva Höltl: Weil das noch nicht passiert. In Österreich werden Arbeitsmediziner*innen von Unternehmer*innen bezahlt. Das ist gesetzlich so geregelt. Deren Aufgabe in der sogenannten Mindesteinsatzzeit ist die Verhinderung arbeitsplatzbedingter gesundheitlicher Schäden. Wer mehr Leistung möchte, müsste Stunden zukaufen. Dabei hat die Idee Charme, Prävention stärker bei Arbeitsmediziner*innen zu verankern. Sie sind nah an der Lebensrealität von Menschen, kennen ihre Klientel und erreichen auch Gruppen, die sonst schwer zu erreichen sind. Aufgaben gäbe es genug, von der Steigerung der Impfraten bis zur Erhöhung der Health Literacy. 

Warum ist das wichtig? 

Eva Höltl: Viele Menschen migrierten in unseren Arbeitsmarkt und kennen unser Gesundheitssystem nicht. Hier könnten wir sie mit gezielter Information und präventiven Angeboten erreichen. Prävention braucht Breite, um zu wirken. Wir wissen aus Jugendstudien oder der Musterung, dass es um die Gesundheit von jungen Menschen schlecht bestellt ist. 20 bis 30 Prozent sind untauglich. Natürlich können und sollen Unternehmer*innen die Kosten für den Ausbau von Prävention nicht stemmen. Das ist Aufgabe des öffentlichen Gesundheitssystems. Aber Firmen könnten den Raum zur Verfügung stellen. 

Woran scheitert es? 

Eva Höltl: Nötig wäre die Steuerung von Prävention aus einer Hand. Und nicht die Fortführung der Gießkannen-Methode mit Einzel-Programmen ohne Koordination. Neben Geld braucht es die gesetzlichen Voraussetzungen. Letztes Jahr erkrankten hierzulande 17.000 Menschen an Keuchhusten, weil viel zu wenig bekannt ist, dass die Impfung laut aktueller Empfehlung des Nationalen Impfgremiums alle fünf Jahre aufgefrischt werden muss. Wir sehen, dass viele Menschen Keuchhusten für eine Kinderkrankheit halten und keinen Impfschutz mehr haben. Für mehr Gesundheit brauchen wir ein besseres Verständnis und höhere Impfraten. 

Warum gibt es am Arbeitsplatz noch immer keine HEPA-Filter oder Far-UV-C-Licht, die die meisten luftübertragenen Infektionen verhindern würden? 

Eva Höltl: Mit dem Ende der Pandemie wurde das Thema weitgehend begraben. Für viele heimische Unternehmen sind die Kosten in wirtschaftlich schwierigen Zeiten schwer zu bewältigen. Dabei rechnet sich Prävention auf lange Sicht. 

In welchem Ausmaß steigern gesunde Mitarbeiter*innen die Produktivität? 

Eva Höltl: Laut Studien ist der Return on Investment (ROI) für betriebliche Gesundheitsförderung 1:3. Gesundheitskompetenz erhöht aber auch die Zuversicht und Sicherheit von Mitarbeitenden. Und Optimismus wiederum die Kaufkraft. Prävention stärkt auch das Land.

Eva Höltl © ERSTE Stiftung/APA-Fotoservice/Tanzer

Der ROI für betriebliche Gesundheitsförderung ist 1:3. Zudem erhöht Optimismus die Kaufkraft und stärkt das Land.

Dr.in Eva Höltl

Leiterin des Gesundheitszentrums der Erste Bank AG

Wie gesund sind Arbeitnehmer*innen in Österreich? 

Eva Höltl: Hier gibt es große sozioökonomische Unterschiede. In vielen Gruppen ist die Gesundheitskompetenz ausbaufähig. Es gibt große Impflücken. 20 Prozent der Menschen wissen nicht, welche notwendig sind und welchen Informationen sie vertrauen können. Erwerbstätige sind eine wichtige Gruppe, um andere zu erreichen. Sie treffen oft auch Gesundheitsentscheidungen für ihre Kinder oder Eltern, die sie betreuen. 

Welche Erkrankungen würden sich durch mehr Prävention vermeiden lassen? 


Eva Höltl: Gesundheitskompetenz geht mit gesunden Lebensjahren einher. Mehr Vorsorge, bessere Impfraten und mehr psychische Gesundheit könnten die allermeisten Krankheiten verhindern, von Herzkreislauf-Erkrankungen über Adipositas und Diabetes bis hin zur Demenz. Die HPV-Impfung verhindert sogar Krebs. Und der erste Schritt ist sicher Gesundheitskompetenz. Sie sollte im Elternhaus beginnen und am Arbeitsplatz verankert werden, ist aber komplex. Mit welchen Maßnahmen erreiche ich alle Arbeitenden von Vorarlberg bis Wien, Jung bis Alt? Wir brauchen Koordination. 

Laut einer Umfrage fühlen sich 42 Prozent der Arbeitnehmer*innen in Österreich gestresst. 

Eva Höltl: Dabei ist unsere Arbeitszeit, mit Ausnahmen, so niedrig wie nie. Aber die Geschwindigkeit ist deutlich gestiegen und es kommen weitere belastende Faktoren dazu. Vereinbarkeitsthemen durch eine deutlich gestiegene Erwerbsquote von Frauen, Kinder, die Pubertät von Teenagern, Pflege der Eltern, teure Mieten. All das sind Stressoren. Besonders betroffen sind Frauen, deren Pensionsantrittsalter gerade erhöht wird. Ohne bessere Unterstützung, vor allem, was die Kinderbetreuung und Pflege älterer Angehöriger betrifft, wird das schwierig werden. 

Erfordert der Klimawandel Anpassungen, Stichwort Hitze und Extremwetter? 

Eva Höltl: Auf alle Fälle, zum Beispiel bei Dachdecker*innen oder im Straßenbau. Bei bis zu 50 Hitzetagen über 30 Grad im Jahr 2024 ist das eine enorme gesundheitliche Herausforderung, die in den nächsten Jahren nicht besser wird. Hier braucht es neue Überlegungen, wie diese Tätigkeiten so geregelt werden, dass sie zu keinen gesundheitlichen Schäden führen. 

Digitalisierung und KI verändern viele Jobs. Wie wirkt sich das auf die psychische Gesundheit von Arbeitnehmer*innen aus? 

Eva Höltl: Ich bin ein großer Fan von KI, weil sie in der Medizin große Chancen bringt, von der Diagnostik bis zur Therapie. Aber für viele ist das Thema mit Ängsten verbunden, etwa den Job zu verlieren. Sie sind für einige Tätigkeiten berechtigt, aber es werden auch neue Jobs geschaffen werden. Psychische Erkrankungen, vor allem Depressionen und Angststörungen, nehmen deutlich zu. Das ist ein Riesenproblem in punkto Arbeitsunfähigkeit und krankheitsbedingte Frühpensionen. Dabei wären die meisten dieser Erkrankungen, rechtzeitig erkannt, gut behandelbar. Allerdings ist eine psychiatrische Diagnose noch immer mit Scham behaftet. Zudem herrscht ein Mangel an Therapie-plätzen. Auch hier wäre Prävention und early intervention wichtig. Um persönliches Leid zu verhindern, aber auch, um die Erwerbsfähigkeit zu erhalten und unser Pensionssystem langfristig zu sichern. 

Zur Person

Dr.in Eva Höltl ist als Arbeitsmedizinerin Leiterin des Gesundheitszentrums der Erste Bank AG. Außerdem ist sie Vizepräsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Vorstandsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Vakzinologie.

Fotos: Titelbild Eva Höltl © ERSTE Stiftung /Valerie Maltseva; Bild zum Zitat: © ERSTE Stiftung/APA Fotoservice/Tanzer

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