Fiona Fiedler © NEOS
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„Niemand geht gern ins Spital“

Gesundheitspolitik
Gesundheitsberufe

Die Finanzierung aus einer Hand und eine Bündelung der Gesundheitsverantwortung fordert NEOS-Gesundheitssprecherin Fiona Fiedler im INGO-Gespräch. Sie fordert klare Ziele, echte Digitalisierung und mehr Kompetenzen für nichtärztliche Gesundheitsberufe.

Interview: Birgit Kofler

Wenn Sie die aktuelle Gastpatient*innen-Debatte zwischen Wien, Niederösterreich und dem Burgenland verfolgen: Was ist aus Ihrer Sicht der richtige Weg, mit diesem Problem umzugehen?

Fiona Fiedler: Hier spielen viele Faktoren zusammen. Grundsätzlich muss es unser Ziel sein, in ganz Österreich die bestmögliche Versorgung anzubieten. Spezialisierte Angebote sollten auch außerhalb der Ballungszentren verfügbar sein – dafür muss es für Ärzt*innen aber attraktiv sein, in ländliche Regionen zu gehen. Die Diskussion zeigt uns, dass wir endlich eine gesamtösterreichische Konzeption und Planung brauchen. Der Föderalismus ist hier oft ein Hemmschuh. Mit der Reformpartnerschaft von Bund, Ländern und Gemeinden sollten wir einen Fokus auf eine abgestimmte, länderübergreifende Versorgung setzen, dann stellt sich die Frage von Gastpatient*innen nicht mehr.

Die zersplitterten Gesundheitskompetenzen sind seit Jahrzehnten ein Thema. Sind Sie zuversichtlich, dass sich mit dieser Reformpartnerschaft nun wirklich etwas bewegt?

Fiona Fiedler: Wir sehen uns in dieser Regierung als Motor für Reformen – auch im Gesundheitsbereich. Wir werden darauf pochen, dass es nicht einfach weitergeht wie bisher. Bei so alteingefahrenen Systemen braucht das seine Zeit. Ich bin aber überzeugt, dass wir in dieser Legislaturperiode einen guten Weg bereiten können, auch wenn die Umsetzung noch länger dauern wird.

Für eine mögliche Bündelung der Kompetenzen sind verschiedene Modelle im Spiel, zuletzt haben einzelne Player*innen die Option einer Bundeskompetenz eingebracht. Wie sehen Sie das?

Fiona Fiedler: Wesentlich ist, dass wir die Finanzierung aus einer Hand etablieren. Nur so können wir Patient*innen wirklich gut durch das System lenken. Wenn ein Player zahlt, hat er auch ein Interesse, das beste und effizienteste Modell anzubieten und dafür Anreize zu setzen. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die niedergelassene Versorgung flächendeckend verfügbar ist. Erst dann kann man Menschen nach dem Prinzip „digital vor ambulant vor stationär“ lenken. Wenn die Länder zusätzliche Mittel bekommen, muss das zweckgebunden und kontrolliert erfolgen. Derzeit fehlen Sanktionen, wenn Geld nicht zielgerichtet eingesetzt wird.

Sie sprechen die Finanzierung aus einer Hand an. Wo sollte das angesiedelt sein? Beim Bund, bei der ÖGK?

Fiona Fiedler: Angesichts der aktuellen budgetären Lage der ÖGK ist Letzteres wohl fraglich. Entscheidend ist weniger, wo das gemeinsame Budget organisatorisch angebunden ist, sondern dass es klare Ziele und verbindliche Messpunkte gibt. Zusätzliche Mittel müssen an konkrete Ergebnisse geknüpft sein.

Sie haben angesprochen, NEOS sieht sich als „Reformmotor“ in der Regierung. Wie hätte ein gesundheitspolitisches Regierungsprogramm ausgesehen, wenn es ausschließlich nach Ihren Vorstellungen gestaltet wäre?

Fiona Fiedler: Viele unserer Anliegen haben Eingang in das Regierungsprogramm gefunden – etwa der Fokus auf Prävention. Wichtig ist uns die Schulgesundheit: Kinder und Jugendliche sollen früh lernen, wie man bis ins hohe Alter gesund und fit bleibt und durch das Gesundheitssystem navigiert. Multiprofessionelle Teams mit School Nurses, Schulärzt*innen, Sozialarbeit und Schulpsychologie – das sind Themen, die klar unsere Handschrift tragen. Ein anderer wichtiger Bereich sind Vorsorgeuntersuchungen bei Erwachsenen, da wünschen wir uns eine Stärkung: zum Beispiel durch ein Anreizsystem oder die Möglichkeit, über ELGA Erinnerungen zu schicken. Wir müssen die Digitalisierung besser nutzen. Mit konsequenter Digitalisierung könnten wir in den nächsten fünf Jahren bis zu vier Milliarden Euro einsparen, vor allem durch die Vermeidung von Mehrfachbefundungen.

Das Versprechen in diesem Zusammenhang lautet, dass im kommenden Jahr Patient Summary und die Integration aller Bildgebungsdaten in der ELGA implementiert sein sollen. Wird das halten?

Fiona Fiedler: Es wird halten müssen. Wir müssen uns auf den europäischen Gesundheitsdatenraum EHDS vorbereiten. Manchmal schadet etwas Zeitdruck nicht, um die Dinge voranzubringen. Dafür wird man zwar jetzt Geld in die Hand nehmen müssen, aber auf Dauer wird sich herausstellen, dass man das mehrfach wieder zurückbekommt.

Wo sehen Sie das größte Potenzial der Digitalisierung – vor allem für Patient*innen?

Fiona Fiedler: Ein zentraler Punkt ist, die vielen Gesundheitsdaten, die wir auf verschiedenen Plattformen haben, zu bündeln und für Forschung zugänglich zu machen. Das ist zum Beispiel im Bereich seltener Krankheiten ganz entscheidend. Digitalisierung eröffnet viele Optionen, von der Erinnerungsfunktion für Untersuchungen über die Befundeinsicht bis zur einheitlichen Codierung. Natürlich bedeutet das, dass alle Anbieter in die ELGA eingebunden sind, auch Wahlärzt*innen oder private Spitalsträger.

Die demografische Entwicklung bringt einen höheren Bedarf an Gesundheitsleistungen und zugleich haben wir weniger Gesundheitspersonal. Ist die Kompetenzverlagerung zu nichtärztlichen Gesundheitsberufen ein geeigneter Ansatz?

Fiona Fiedler: Das halte ich für einen guten Weg. Wir haben Berufe mit einer guten Ausbildung, die diese Kompetenz oft gar nicht ausspielen können. Wenn ich die Community Nurse zu den Patient*innen nach Hause schicke, muss ich ihr auch die Möglichkeit geben, das zu tun, was sie kann, ohne jedes Mal eine Ärztin oder einen Arzt dazu zu holen. Wir müssen optimal mit knappen Ressourcen umgehen.

Fiona Fiedler © NEOS

Solange es zu wenige niedergelassene Angebote gibt, werden wir die Menschen nicht vom Krankenhaus wegbringen.

Fiona Fiedler

Abgeordnete zum Nationalrat, NEOS-Gesundheitssprecherin

Liegen dazu schon konkrete gesetzliche Vorhaben auf dem Tisch?

Fiona Fiedler: Noch nicht, da sind wir in vielfältigen Gesprächen.

Löst das Modell der Kompetenzverlagerung die Ressourcenprobleme? Wir haben ja auch in der Pflege einen Fachkräftemangel.

Fiona Fiedler: Es macht diese Berufe attraktiver, wenn die Leute das tun dürfen, was sie können. Dann bleiben sie eher im Job, und wir können mehr Menschen dazu motivieren, die Ausbildung zu machen.

Viele Träger und Bundesländer versuchen den Pflegemangel für sich mit Rekrutierungsprogrammen, vor allem in Drittstaaten, anzugehen. Ist das ein guter Weg?

Fiona Fiedler: Sicher nicht, jedenfalls nicht ohne Gesamtstrategie. Einzelaktionen bringen wenig. Wir müssen Nostrifizierungen erleichtern, bürokratische Hürden abbauen und eine echte Willkommenskultur schaffen. Wer bei uns arbeiten will, soll nicht jahrelang warten und in der Zeit weit unter seiner oder ihrer Qualifikation arbeiten müssen. Jenseits der Auslandsrekrutierung müssen wir die Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern verbessern – Kooperation auf Augenhöhe macht das Arbeitsumfeld attraktiver.

Kommen wir vom Pflegemangel zum Ärzt*innenmangel, insbesondere im solidarischen Gesundheitssystem. Wie löst man das Problem?

Fiona Fiedler: Zunächst müssen die Kassenverträge attraktiver werden. Ärzt*innen haben einfach zu wenig Anreiz, niedergelassen im Kassensystem tätig zu werden. Sie müssen über die Menge arbeiten, um die Ordination zu finanzieren – Zeit für Patient*innen fehlt. Wir brauchen Verträge, die Qualität belohnen, nicht nur Quantität, um mehr Absolvent*innen dafür begeistern zu können.

In der extramuralen Versorgung setzt die Sozialversicherung vor allem auf Zentrumsmedizin, mit PVE, Ambulatorien etc. Stirbt die klassische Einzelordination aus?

Fiona Fiedler: Zentren sind ein wichtiges Angebot, aber nicht überall die beste Lösung. In ländlichen Regionen braucht es weiterhin auch andere Modelle, um wohnortnah zu versorgen. Neben den PVZ wären hier Facharztzentren interessant. Entscheidend ist, dass Menschen nicht ins Spital ausweichen müssen, weil es draußen kein Angebot gibt.

Apropos Spitalsentlastung. Wird Patient*innenlenkung wirklich mit einem Ausbau von 1450 und Anreizen funktionieren, oder werden doch auch deutlichere Hürden nötig sein, etwa Ambulanzgebühren?

Fiona Fiedler: Solange es zu wenige niedergelassene Angebote gibt, werden wir die Menschen nicht vom Krankenhaus wegbringen. Niemand geht gern ins Spital, wenn es attraktive Alternativen gibt. Genau dort müssen wir ansetzen. Ich bin auch keine große Anhängerin der Primärversorgungsambulanzen, die Spitälern vorgelagert sind. Natürlich können die einiges abfangen – aber in den Köpfen der Menschen bleibt das mit dem Spital verbunden. Und genau da brauchen wir eine grundlegende Änderung.

Wo sehen Sie im Bereich psychische Gesundheit besonderen Handlungsbedarf?

Fiona Fiedler: Das Signal an Kinder und Jugendliche ist sehr wichtig, dass psychische Gesundheit genauso wichtig ist wie die physische. Projekte wie „Gesund aus der Krise“ sind wichtig, müssen aber flächendeckend ausgerollt werden. Wir müssen psychische Gesundheit entstigmatisieren und Angebote auf Kassenkosten niederschwellig zugänglich machen. Erhöhte Versicherungsbeiträge dafür zahlen wir ja eigentlich schon seit 1992.

Wenn Sie einen Blick in die Zukunft wagen – wo sollte das österreichische Gesundheitssystem in 20 Jahren stehen?

Fiona Fiedler: Es ist vollständig digitalisiert. Jeder hat eine eigene Hausärztin oder einen eigenen Hausarzt und kann jederzeit dort bei der Tür hineinmarschieren. Es gibt ausreichend niedergelassene Angebote, genug Pflegepersonen und andere Gesundheitsberufe – alle mit Kassenverträgen und fairer Bezahlung. Und sie arbeiten alle auf Augenhöhe zusammen, im Sinne der Patient*innen.

Zur Person

Fiona Fiedler ist seit 2019 Abgebordnete zum Nationalrat und NEOS-Sprecherin für Gesundheit, Pflege und Menschen mit Behinderung. Sie ist ausgebildete Touristikfachfrau, studierte an der Pädagogischen Hochschule Steiermark und war als Volksschullehrerin tätig.

Fotos: © NEOS

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