Juliane Bogner-Strauß © parlament.gv
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„Wir brauchen viel politischen Mut“

Personen & Porträts
Gesundheitspolitik

Abgeordnete zum Nationalrat Juliane Bogner-Strauß, Gesundheits- und Frauensprecherin der ÖVP, spricht im INGO-Interview über Frauen im Gesundheitssystem, Finanzierung aus einer Hand und warum Politik jetzt mutig sein muss.

Interview: Birgit Kofler

Sie sind sowohl Gesundheits- als auch Frauensprecherin der ÖVP. Das Gesundheitswesen ist in hohem Maße weiblich – 75 bis 80 Prozent der Mitarbeitenden sind Frauen. Gleichzeitig kämpft das System mit massivem Fachkräftemangel. Welche Rahmenbedingungen braucht es, damit Frauen nicht nur ins Gesundheitswesen gehen wollen, sondern dort auch bleiben?

Juliane Bogner-Strauß: Ein zentrales Thema ist hier nach wie vor die Vereinbarkeit von Familie und Beruf – also insbesondere ausreichende Kinderbildung und -betreuung. Gerade in den Gesundheitsberufen ist besonders Frauen auch die Dienstplansicherheit ein großes Anliegen: Dass man nicht ständig spontan einspringen muss, vor allem bei Nachtdiensten. Es geht auch darum, das Angebot an Ausbildungsplätzen auszubauen, vor allem im Pflegebereich. Zudem ist es wichtig, Frauen schon in der Ausbildung und natürlich auch dann im Beruf noch stärker zu begleiten, Frauen in Führungspositionen, Mentoringprogramme, Gesundheitsförderung oder Burnoutprävention.

Wie kann die Zahl der Frauen in Führungspositionen im Gesundheitswesen erhöht werden?

Juliane Bogner-Strauß: Flexibilisierung in den Führungsrollen scheint mir ein wichtiger Ansatz zu sein. Neben gezielten Leadership-Programmen geht es auch um Jobsharing, die Option zum Führen in Teilzeit. Luft nach oben gibt es bei Frauen auch, was das Netzwerken betrifft. Frauen sind nach wie vor für fast 70 Prozent der unbezahlten Care-Arbeit verantwortlich – da geht man nicht am Abend noch zu Vernetzungstreffen. Deswegen brauchen wir dafür strukturierte Programme, die in den beruflichen Tagesablauf passen und nicht an den Tagesrandzeiten stattfinden. Aus der Wirtschaft und der Wissenschaft wissen wir: Diversität trägt wesentlich zur besseren Performance von Organisationen bei. Vor diesem Hintergrund können wir gar nicht anders, als in Führungspositionen auf Diversität zu achten.

Ein anderes Thema an der Schnittstelle von Gesundheits- und Frauenpolitik: Frauengesundheit und gendergerechte Versorgung wurden in den letzten Jahren verstärkt thematisiert. Wo sehen Sie hier noch Defizite und welche konkreten Verbesserungen gehören angegangen?

Juliane Bogner-Strauß: Das ist eines meiner Herzensthemen. Als Wissenschaftlerin ist mir bewusst, dass die meisten Studien an männlichen Normpatienten durchgeführt werden. Wir brauchen also wesentlich mehr Forschung an und mit Frauen. Sonst bilden die Forschungsergebnisse nicht ab, dass Frauen oft ganz anders auf Medikamente als Männer reagieren, andere Symptome haben und vieles mehr. Gendergerechte Versorgung bedeutet auch, dass wir uns viel mehr um zyklusassoziierte Beschwerden kümmern – von der ersten Regel über Endometriose oder Brustkrebsvorsorgeprogrammen bis zu den Wechseljahren. Letzteres ist ein Thema, das noch immer sehr stigmatisiert ist. Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Frauen verlaufen oft ganz anders als bei Männern, das muss besser berücksichtigt werden. Ein anderer wichtiger Schwerpunkt in dem Zusammenhang ist psychische Gesundheit, denn die typische Mehrfachbelastung von Frauen ist eine Herausforderung. All diese Themen müssen auch in der Mediziner*innen-Ausbildung besser verankert werden. Zu solchen Fragen haben wir ein klares Bekenntnis im Regierungsprogramm. So viel Einigkeit unter Koalitionspartnern zu Frauengesundheit und gendersensibler Versorgung hat es wohl davor noch nie gegeben.

Apropos gesundheitspolitisches Programm der Koalition: Wo wird die ÖVP-Handschrift deutlich, welche Anliegen waren Ihnen besonders wichtig?

Juliane Bogner-Strauß: Die soeben diskutierte Frauengesundheit ist jedenfalls eines davon, auch für mich als ÖVP-Frauenchefin - wobei das auch unsere Partner*innen als wichtiges Thema sehen. Was uns als ÖVP auch besonders am Herzen liegt, ist der Ausbau der Primärversorgung. Wohnortnahe, niedergelassene Angebote, die an sechs bis sieben Tagen der Woche gute Versorgung bieten, sind eine wesentliche Voraussetzung für die Entlastung der Spitäler. Und sehr wichtig war es uns auch, den Bereich der Digitalisierung stark im gemeinsamen Programm zu verankern – Telemedizin, ELGA, E-Rezept, und all dies auch auf EU-Ebene.

Die Salzburger Landeshauptfrau hat die komplette Verlagerung der zersplitterten Gesundheitskompetenzen zum Bund vorgeschlagen. Wie stehen Sie zu diesem Vorschlag –als ehemalige Landesrätin und heutige Nationalratsabgeordnete?

Juliane Bogner-Strauß: Ich kenne tatsächlich beide Perspektiven gut. Das Entscheidende scheint mir zunächst, dass wir klare und einheitliche Standards im ganzen Land haben. Wir brauchen endlich den Gesamtvertrag, mit einheitlichen Honoraren und Leistungen. Wir brauchen ein einheitliches Dienstrecht. Dass sich Bundesländer gegenseitig mit Gehältern zu übertrumpfen versuchen, um Personalnöte im Gesundheitswesen auszugleichen, ist der falsche Weg. Wir brauchen eine Versorgungssicherheit über Bundesländergrenzen hinweg. Die Debatte um die Gastpatientinnen und -patienten sollte es nach der Regelung im Finanzausgleich eigentlich nicht mehr geben, aber bei Spardruck taucht sie wieder auf. Das alles zeigt, wie dringend es eine bundesweite Steuerung braucht. Natürlich gibt es über den Österreichischen Strukturplan Gesundheit schon eine gewisse Steuerungsmöglichkeit, aber die gehört gestärkt. Wenn wir endlich die – seit 30 Jahren diskutierte – Finanzierung aus einer Hand schaffen, dann muss auch gelten: Wer zahlt, muss steuern und planen dürfen. Wenn der Bund zentral finanziert und die Länder trotzdem weiter planen dürfen, wird sich die Lage nicht verbessern. Wir brauchen zum Beispiel eine konsequente Bündelung von Spezialisierung und High-End-Medizin in zentralisierten Krankenhäusern der obersten Versorgungsebene, das kann man nicht überall anbieten. Am anderen Ende des Spektrums brauchen wir wohnortnah die bereits angesprochenen Primärversorgungseinheiten, da geht es um medizinische Behandlung, Pflege, Begleitung, soziale und psychologische Betreuung, die Versorgung chronisch Kranker und vieles mehr.

Juliane Bogner-Strauß © Pressefoto

Wenn wir endlich die – seit 30 Jahren diskutierte – Finanzierung aus einer Hand schaffen, dann muss auch gelten: Wer zahlt, muss steuern und planen dürfen.

Assoz.-Prof.in Mag.a Dr. in Juliane Bogner-Strauß

Abgeordnete zum Nationalrat, Bereichssprecherin der ÖVP für Gesundheit und Frauen, Bundesleiterin der ÖVP Frauen

Der demografische Wandel trifft das Gesundheitssystem mit voller Wucht – immer mehr ältere Menschen, immer weniger Erwerbstätige. Was muss dringend umgesetzt werden, damit wir den Entwicklungen nicht hinterherhinken?

Juliane Bogner-Strauß: Da gibt es viele Ansatzpunkte. Gesundheitskompetenz und Prävention von Kindesbeinen an. Die Versorgung am jeweils individuell besten Ort, das spart Ressourcen und ist auch patientenfreundlicher. Da wird auch die Rundumerneuerung von 1450 helfen – dass man entsprechend durch das System gelotst wird. Eine Stärkung der Ausbildung der Gesundheitsberufe gehört hier ebenfalls dazu, und eine weitere Kompetenzverschiebung zu den nichtärztlichen Gesundheitsberufen. In der Altenpflege müssen wir die Angebote der nichtstationären Betreuung ausbauen, von der mobilen Pflege bis hin zur Übergangspflege für spezifische Situationen. Noch klappt es hier an den Schnittstellen nicht immer optimal, sie werden oft zu Bruchstellen. Hier braucht es dringend Lösungen, um Drehtüreffekte zwischen Krankenhaus, Hauspflege oder Pflegeeinrichtungen zu vermeiden. Auch Digitalisierung und Telemedizin sind zentrale Antworten auf die demographische Herausforderung, um die Versorgungssicherheit zu erhöhen und den Patientinnen und Patienten am richtigen Ort die richtige Versorgung zukommen zu lassen

Die Reformpartnerschaft zwischen Bund und Ländern soll Kompetenzen klären und Reformen voranbringen – unter anderem, damit es mit der bundesländerübergreifenden Kooperation besser klappt. Wie zuversichtlich sind Sie, dass diesmal wirklich der große Reformwurf im Gesundheitswesen gelingt?

Juliane Bogner-Strauß: Ich bin sehr zuversichtlich. Der Druck ist hoch, die Notwendigkeit ist hoch, und das Wissen darum, Lösungen finden zu müssen, auch. Das schon deshalb, weil die Zufriedenheit bei Patientinnen und Patienten und beim Gesundheitspersonal abnimmt. Und weil uns zudem Stillstand einfach zu teuer kommt. Ich hoffe auf viel politischen Mut.

Worin sollte sich dieser Mut zeigen?

Juliane Bogner-Strauß: Dass man genau hinschaut, wo Veränderungen nötig sind, dass man sie umsetzt und der Bevölkerung gut erklärt, warum. Ein Beispiel ist die bereits angesprochene Spitalsdichte. Wir können nicht mehr in jedem Ort ein Krankenhaus haben -wir haben dreimal so viele Krankenhäuser wie Dänemark. Für gute Versorgung braucht es Spezialisierung und Erfahrung, das hat sich in vielen Bereichen wie der Schlaganfallversorgung schon durchgesetzt. Wenn man nur alle drei Wochen einen bestimmten Eingriff macht, fehlt die Routine und Expertise. Das schlägt sich auf die Behandlung und die Ausbildung nieder.

In Österreich scheinen wir uns schon mit der Kooperation zwischen Bundesländern schwer zu tun. Wie gut kommen wir denn mit der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung voran – von Versorgungskooperationen bis zur Digitalisierung?

Juliane Bogner-Strauß: Es gibt gute Kooperationen mit Nachbarstaaten, etwa beim Rettungswesen und spezialisierter Spitalsbehandlung. Die EU-weite Patientenakte und das E-Rezept, das ich auch in anderen EU-Staaten einlösen kann, haben wir gerade im Parlament beschlossen. Wichtig wird hier auch noch die europaweit einheitliche Diagnosecodierung - dass jemand trotz Sprachbarrieren meinen Status sofort erfassen kann, kann lebensrettend sein. Im EU-Vergleich ist Österreich hier gut unterwegs.

Zum Schluss: Woran werden wir am Ende dieser Legislaturperiode erkennen können, ob die Gesundheitspolitik dieser Koalition erfolgreich war?

Juliane Bogner-Strauß: Daran, dass es die richtige Versorgung der Patientinnen und Patienten am richtigen Ort gibt, dass die Stärkung des niedergelassenen Bereichs und die Entlastung der Spitäler gelungen sein wird. Auch daran, dass es in den Spitälern mehr ambulante, tagesklinische Eingriffe geben wird, eine stabile Arzneimittelversorgung hergestellt ist, die Angebote für die psychische Gesundheit ausgebaut und die Frauengesundheit gestärkt ist. Wenn es Versorgungssicherheit gibt und Patientinnen und Patienten ebenso wie Mitarbeitende im Gesundheitswesen zufrieden sind: Dann haben wir erreicht, was wir anstreben.

Zur Person

Die Molekularbiologin und Biochemikerin Assoz.-Prof.in Mag.a Dr. in Juliane Bogner-Strauß ist Abgeordnete zum Nationalrat und Bereichssprecherin der ÖVP für Gesundheit und Frauen sowie Bundesleiterin der ÖVP Frauen. Von 2017 bis 2019 war sie Bundesministerin für Frauen, Familien und Jugend im Bundeskanzleramt, danach als steirische Landesrätin unter anderem für Gesundheit, Pflege und Frauen zuständig. Vor ihrer politischen Karriere war Juliane Bogner-Strauß assoziierte Professorin und stellvertretende Institutsleiterin am Institut für Biochemie der TU Graz. Juliane Bogner-Strauß ist verheiratet und hat drei Kinder.

Fotos: Titelbild (c) Parlament; Testimonial (c) Pressefoto

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