Hörmann und Zink (c) navigamus.org/Steffen Saint Clair
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ÖGARI-Präsident Zink: KI braucht klare Regeln

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Der neue Präsident der anästhesiologischen Fachgesellschaft ÖGARI Prim. Priv.-Doz. Dr. Michael Zink sieht die Digitalisierung als zentrales Zukunftsthema für sein Fachgebiet.

Text: Birgit Kofler

Wenn künstliche Intelligenz dem Anästhesie-Team die Hand führt und Algorithmen die intensivmedizinische Therapie steuern – wer trägt dann die Verantwortung? Das ist eine der aktuellen Fragen, die Prim. Priv.-Doz. Dr. Michael Zink im Zusammenhang mit der Digitalisierung seines Fachgebietes beschäftigen. Kürzlich hat der der Abteilungsleiter am Krankenhaus der Elisabethinen Klagenfurt und am Krankenhaus Barmherzige Brüder St. Veit an der Glan für zwei Jahre die Präsidentschaft der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI) übernommen. Mit rund 2.000 Mitgliedern repräsentiert die Fachgesellschaft eines der größten medizinischen Sonderfächer, das zwischen medizinischen KI-Anwendungen, Personalmangel und demografischem Wandel vor erheblichen Herausforderungen steht.

Digitalisierung sicher vorantreiben

Als eines der zentralen Themen seiner Präsidentschaft nennt Michael Zink die Digitalisierung in der Medizin, insbesondere den zunehmenden Einsatz Künstlicher Intelligenz. „Die rechtlichen Rahmenbedingungen halten hier mit dem technischen und medizinischen Fortschritt häufig nicht Schritt“, erklärt der ÖGARI-Präsident. Diese Entwicklung müsse unter rechtlichen, ethischen und fachlichen Aspekten analysiert werden, um zukunftsfähige und sichere Lösungen zu finden.

Als konkretes Beispiel nennt der Anästhesiologie-Primar die Medical Device Regulation (MDR), die die Zulassung von Medizinprodukten in der EU regelt. „Die MDR ist sehr statisch und gut geeignet zur Beurteilung eines Hüftprothesenimplantats oder eines Herzschrittmachers. Aber für die schnellen Entwicklungen im digitalen Bereich ist das System zu träge,“ gibt er zu bedenken. Das aktuelle Regulierungssystem bremse Innovationen, weil es etwa für kurzfristig durchgeführte Verbesserungen an bereits zugelassenen Tools keine adäquaten Regeln gibt. Zinks Ansatz: „Wir müssen sicherstellen, dass der rechtliche Rahmen nicht nur nicht bremst, sondern durchaus beschleunigt – und das im Rahmen von Regeln, die die Patient*innensicherheit gewährleisten.“

Gleichzeitig mahnt Zink zu einer umsichtigen Vorgangsweise bei der Automatisierung medizinischer Prozesse. Er zieht einen Vergleich zur Luftfahrt: „Eine Drohne kann allein starten und landen. Wahrscheinlich wird sie das zumindest so gut machen wie ein erfahrener Pilot, weil viele mögliche Entscheidungen, die auf sie zukommen könnten, programmiert sind.“ Doch in der Medizin es gebe viele Entscheidungen, die „urmenschlich“ seien, wie Zink es ausdrückt. Dabei geht es um Situationen, in denen die Ärztin oder der Arzt vom standardisierten Protokoll abweichen muss, weil aufgrund der Interaktion mit Patient*innen oder Angehörigen andere Maßnahmen gefragt sind. „Wir können Flugzeuge automatisch fliegen, aber ich habe bei Lufthansa oder Austrian Airlines noch nie gesehen, dass sie ein Flugzeug ohne Pilot auf die Reise schicken“, so der ÖGARI-Präsident.

Bei allen Automatisierungsmöglichkeiten müsse es klare Grenzen geben, betont Zink. „Ich höre durchaus Überlegungen zu KI-geleiteten Anästhesien, bei denen kein Arzt verfügbar sein müsste. Das halte ich allerdings für ausgeschlossen.“ Der Mensch müsse die Kontrollinstanz des „Autopiloten“ bleiben.

Neben der KI-Unterstützung in Diagnose und Behandlung ist auch die Telemedizin ein zunehmend wichtiger Bereich der digitalen Transformation. Zink sieht darin großes Potenzial für sein Fach, etwa bei der Präanästhesieaufklärung. „Diese Möglichkeit kommt auch in Österreich schon an Abteilungen zum Einsatz. Allerdings sollten solche Online-Tools nicht eingesetzt werden, um Personalressourcen zu sparen – das Ganze muss auch der Qualitätsverbesserung dienen.“

Die Digitalisierung kann jedoch auf praktische Hürden stoßen, wie der ÖGARI-Präsident mit Blick auf die demografische Realität seiner Patient*innen erklärt: „Nicht alle in der Generation 70plus, eine Patient*innengruppe, die wir häufig behandeln, kommen so gut mit digitalen Geräten zurecht“, gibt er zu bedenken. „Diese Menschen müssen wir bei Digitalkonzepten berücksichtigen, um sie nicht von der Versorgung auszuschließen.“

Advanced Care Planning: Würdevolle Behandlung

Ein wichtiger Punkt auf Michael Zinks Agenda ist auch Advanced Care Planning – die vorausschauende Behandlungsplanung für Patient*innen, mit der die Erwartungen von Menschen an die künftige Therapie und Versorgung festgelegt werden. Hier habe es zuletzt positive Entwicklungen gegeben, darunter eine Arbeitsgruppe im Rahmen der Gesundheit Österreich. Dennoch sieht der Experte Handlungsbedarf: „Wir haben das Thema noch nicht ausreichend auf den Boden gebracht und bringen nun noch stärker Schulungen, Weiterbildung und Empowerment der Teams voran, damit dieses Instrument gut kommuniziert und genutzt wird."

Ein besonderes Anliegen ist Zink in diesem Zusammenhang die Situation von Patient*innen in Pflegeeinrichtungen, die bei einer Verschlechterung ihres Zustandes oft gegen ihren Willen in Notaufnahmen gebracht werden. „Hier bekommen Betroffene oft am Ende ihres Lebens den ‚Fahrschein ins Krankenhaus‘, weil der niedergelassene Bereich ausgedünnt ist“, beschreibt er das Problem. Mit entsprechender Vorsorgeplanung könnten solche belastenden Transfers vermieden werden. „Es sollte für Pflegeeinrichtungen eine Verpflichtung geben, jeder Bewohnerin und jedem Bewohner die Möglichkeit für ACP zu geben.“

Als Beispiel nennt er einen Palliativ-Notfallbogen, der in Kärnten von Palliativteams mit schwer kranken Menschen gemeinsam erstellt wird. „Das Dokument ist farbig, so dass man es gut erkennen kann.  Darauf ist festgehalten, was die betroffene Person möchte – ob sie auf eine Intensivstation gebracht werden will oder nicht, ob sie reanimiert oder intubiert werden möchte oder nicht, und vieles mehr. So können Notärzt*innen vor Ort richtig reagieren.“

Michael Zink (c) HF Pictures

Durch ein starkes, gemeinsames Auftreten hat unser Wort Gewicht.

Prim. Priv.-Doz. Dr. Michael Zink

Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin

Die Weiterentwicklung solcher Instrumente sei aus zwei Gründen wichtig, betont der ÖGARI-Präsident: „Einerseits wollen und sollen Patient*innen nach ihrem individuellen Wunsch behandelt werden. Aber andererseits können wir es uns als Gesellschaft auch nicht leisten, Menschen gegen ihren Willen aufwendig zu behandeln und damit gleichzeitig Ressourcen für andere, die sich diese Versorgung wünschen, zu blockieren.“

Die ÖGARI könne hier eine wichtige Rolle spielen, da ihre Mitglieder als Notärzt*innen, Palliativmediziner*innen oder Intensivmediziner*innen viele Patient*innen sehen, bei denen absehbar ist, dass sie über kurz oder lang Advanced Care Planning benötigen werden. „Wenn jemand mit Darmverschluss, Lungenentzündung oder Herzinsuffizienz auf einer Intensivstation liegt und wahrscheinlich bald wieder ähnliche Probleme bekommen wird, könnte man bei der Entlassung aus dem Hochverfügungsbereich ein solches Dokument erstellen – oder zumindest im Arztbrief die individuellen Wünsche der Person dokumentieren.“

Personalmangel und demografischer Wandel

Die Personalknappheit in der Anästhesie und Intensivmedizin ist ein anderes Thema, das den ÖGARI-Präsidenten intensiv beschäftigt. Eine genaue Prognose sei schwierig, da die verfügbaren Statistiken davon ausgingen, dass jede*r derzeit aktive Anästhesist*in noch bis zum Pensionsalter in Vollzeit arbeite. „Tatsächlich wollen aber viele gegen Ende ihrer Karriere nicht mehr die vorgesehenen 100 Prozent leisten, die häufig tatsächlich ja 130 Prozent entsprechen, weil viele im Opt-out mit 52 Stunden arbeiten“, so Zink. Zudem würden auch viele jüngere Kolleg*innen den Wunsch äußern, nicht mehr als 75 oder 80 Prozent zu arbeiten. Die durchaus hohe Bereitschaft von medizinischem Personal zur Mobilität vor allem innerhalb Europas hinzu erschwere Prognosen zusätzlich. Mit dem bevorstehenden Pensionsantritt der Babyboomer-Generation werde sich die Situation jedenfalls objektiv gesehen „massiv verschärfen“, sagt Michael Zink.

Er kritisiert die rigiden Rahmenbedingungen für die Beschäftigung von Kollegen*innen aus Drittstaaten: „In anderen Ländern ist es möglich, in Krankenhäusern – natürlich unter Beobachtung und Begleitung – zu arbeiten und parallel die Landessprache zu verbessern. Das ist bei uns ausgeschlossen.“ Zink wünscht sich auch entsprechend qualifizierte Asylsuchenden rasch in den Arbeitsprozess zu bringen, hier gehe für die Medizin viel Potenzial verloren. „Da muss frischer Wind in die Regelungen“, fordert er. „Es ist bedauerlich, was da an Talenten und Ressourcen verloren geht. Wir sollten uns nicht selbst im Weg stehen.“

Organspende: Negativtrend seit Corona

Ein großes Anliegen ist dem ÖGARI-Präsidenten das Thema Organspende. „Wir haben seit der COVID-19-Pandemie in Österreich einen massiven Negativtrend bei Spenderorganen“, berichtet er. Es gebe regional Bereich mit einer Organspenderate, die unter jener in Deutschland liege – und dies trotz der günstigeren gesetzlichen Regelung in Österreich, mit der Widerspruchsregelung. Zink appelliert an Intensivmediziner*innen, Neurolog*innen oder Neurochirurg*innen, wieder verstärkt an die Option einer Organspende zu denken – und dies nicht nur bei Hirntod, sondern durchaus auch bei alternativen Konstellationen wie einer donation after circulatory determination of death” (DCD).

Gemeinsam Stärke zeigen

Mit Blick auf die fünf Säulen der ÖGARI – Anästhesie, Intensiv-, Notfall-, Schmerz- und Palliativmedizin – betont Zink die Bedeutung des „aktiven Miteinanders“ aller Bereiche. Als große Gesellschaft mit nahezu 2.000 Mitgliedern habe die ÖGARI ein Gewicht in Gesprächen und Verhandlungen. „Es gilt durchaus, durch Spezialisierung innerhalb unseres Fachs die Qualität von Klinik und Wissenschaft voranzubringen. Aber durch ein starkes, gemeinsames Auftreten hat unser Wort Gewicht", erklärt der ÖGARI-Präsident.

Titelbild: Christoph Hörmann, Past Präsident der ÖGARI und Michael Zink bei der Amtsübergabe © navigamus.org/Steffen Saint- Clair

Zur Person

ÖGARI-Präsident Prim. Priv.-Doz. Dr. Michael Zink studierte Humanmedizin in Bern und erlangte in Graz die Facharztanerkennung für Anästhesiologie. Seit 2004 leitet er als Primarius die Anästhesieabteilung am Krankenhaus der Barmherzigen Brüder St. Veit an der Glan, seit 2006 auch jene am Elisabethinen-Krankenhaus Klagenfurt. Von 2018 bis 2023 war er Vorsitzender des Transplantationsbeirats Österreichs, seither ist er stellvertretender Vorsitzender dieses Gremiums und seit 2002 Transplantations-Referent-Süd für Kärnten und die Steiermark. Zink ist auch engagierter Palliativmediziner und aktiver Notarzt am Rettungshubschrauber Christophorus 11.

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