Präsidentin Jaksch (c) LSZ Gesundheitskongress ESS 2025
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„Man kann uns viel zutrauen“

Gesundheitspolitik
Personen & Porträts

Im INGO-Interview spricht die Präsidentin von MTD Austria Mag. Gabriele Jaksch über neue Kompetenzverteilungen, das MTD-Gesetz und wie ihre Berufsgruppen zur Bewältigung der demografischen Herausforderungen beitragen können.

Interview: Birgit Kofler

Ein Thema, das viele gesundheitspolitische Debatten beherrscht, ist die demografische Herausforderung. Was können die MTD, also die medizinisch-therapeutisch-diagnostischen Gesundheitsberufe beitragen, diese große Herausforderung zu bewältigen?

Gabriele Jaksch: Um noch besser zur Bewältigung dieser Herausforderung beitragen zu können, brauchen wir eine Umverteilung der Kompetenzen zwischen den Gesundheitsberufen. Wir haben diesbezüglich schon viele Vorschläge auf den Tisch gelegt, die mit Erfahrungen auf internationaler Ebene gut belegt sind. Leider wurde unseren Anregungen bisher nur mäßig Rechnung getragen. Und um optimal unterstützen und entlasten zu können, sollten die MTD-Berufe viel stärker in die Gesundheitsplanung eingebunden sein. Auf Bundesebene arbeiten wir am Österreichischen Strukturplan Gesundheit in vielen Expert*innengruppen mit, das sollte auch auf der regionalen Planungsebene flächendeckend umgesetzt werden. Bisher ist unsere große Gruppe von Gesundheitsberufen nur in drei Bundesländern auch in der jeweiligen Landesgesundheitsplattform vertreten.

Die Umverteilung der Kompetenzen ist eine alte Forderung. Gibt es konkrete Beispiele, wo es sich Ihres Erachtens besonders anbieten würde, Kompetenzen zu verlagern?

Gabriele Jaksch: Die Steiermark macht zum Beispiel im Rahmen eines KAGES-Pilotprojekts schon seit mehreren Jahren vor, wie es konkret funktionieren könnte. Aus den sieben MTD-Berufsgruppen können Personen, die spezielle zusätzliche Kompetenzen erworben haben, auch mehr Verantwortung übernehmen. Die Basis sind spezialisierte Fort- und Weiterbildungen, oder ein Masterstudium. Ähnliche sogenannte Fachkarriere-Modelle gibt es auch in Wien, und andere Bundesländer beginnen damit. Ein Beispiel wäre etwa die Logopädin oder Diätologin mit Zusatzqualifikation, die nicht nur Kolleg*innen supervidieren oder fortbilden kann, sondern etwa auch auf einer Intensivstation mit Ärzt*innen bei Entscheidungen der Extubation betreffend Nahrungsaufnahme, schlucken, sprechen etc. beraten kann. Es gibt Vorbilder für solche Karrieremodelle, die nicht Leitungsfunktionen betreffen, sondern Fachkarrieren. Von den Erfahrungen aus solchen Pilotprojekten ließe sich sicher einiges flächendeckend ausrollen.

Kommen wir zum neuen MTD-Gesetz, das nun seit einem Jahr in Kraft ist. Was ist Ihre Zwischenbilanz? Was klappt gut, welche Fortschritte hat es gebracht?

Gabriele Jaksch: Das war natürlich ein sehr langer Prozess. 1992 gab es das erste Berufsgesetz für die MTD-Berufe, das einfach in die Jahre gekommen ist. Schließlich hat man sich statt einer bloßen Novellierung für ein komplett neues Gesetz entschieden, das 2024 nach vielen Diskussionen verabschiedet worden ist. Darauf sind wir stolz, denn es hat eine Menge Errungenschaften gebracht. Schon allein die Bezeichnung – wir sind keine „Dienste“ mehr, wie früher, sondern gehobene medizinisch-therapeutisch-diagnostische Gesundheitsberufe. Das spiegelt auch die hohe Professionalität viel besser wider. Und ein wichtiger Fortschritt, vor allem für künftige Anpassungen, ist es, dass für jeden der sieben Berufe ein eigener Paragraph im MTD-Gesetz geschaffen wurde. Das ist flexibler und realitätsnäher als allgemeine Bestimmungen für die große Gruppe von 44.000 Personen mit ihren sehr unterschiedlichen Tätigkeiten. Ein Fortschritt ist auch, dass die Telemedizin jetzt gesetzlich verankert ist. Auch was unsere Rolle in der Primär- und Sekundärprävention betrifft, ist diese jetzt bei allen Berufen außer den Biomedizinischen Analytiker*innen und den Radiologietechnolog*innen ausdrücklich gesetzlich festgeschrieben. Bei der Sekundärprävention sind wir also auch in der Behandlung von chronisch Kranken ohne ärztliche Verordnung tätig und können kräftig das ganze System entlasten.

Und was fehlt, wo gibt es noch Handlungsbedarf?

Gabriele Jaksch: Es laufen jetzt die konkreten Verhandlungen zur Frage an, wann wir Arzneimittel und Medizinprodukte weiterverordnen oder auch ganz eigenständig verordnen können. Wir sind dazu im Austausch mit den jeweiligen ärztlichen Fachgesellschaften und dem Ministerium. Hier ist uns ein wichtiges Anliegen, dass Patient*innen nicht so oft im Kreis geschickt werden, damit sie zum Beispiel zu ihren notwendigen Devices kommen. Es fehlen auch noch Verordnungen zur Spezialisierung in den einzelnen Berufen, was wiederum eine Voraussetzung für die bereits angesprochenen Karrieremodelle sein könnte. Es gibt ja in vielen Bereichen bereits solche Spezialisierungen, etwa in der Physiotherapie der Schwerpunkt Muskuloskelettale Physiotherapie. Solche Spezialisierungen könnten dann beispielsweise die Voraussetzung etwa für Direct Access der Patient*innen zu Therapeut*innen ohne ärztliche Verordnung sein. Oder für die Übernahme zusätzlicher Aufgaben in der Klinik. Viele im Gesetz vorgesehene Details müssen jetzt konkret auf den Boden gebracht werden. Hier wird es noch viele Gespräche brauchen, gerade auch mit der Ärzteschaft, aber das Vertrauen in unsere Ausbildung ist schon gegeben. Natürlich gibt es große Unterschiede zwischen den einzelnen Berufen, was den konkreten Bedarf betrifft. All diesen Themen gemeinsam ist letztlich die Frage, wie man die MTD-Kolleg*innen in ihrem jeweiligen Bereich optimal einsetzt und ihre Expertise noch besser nutzt.

Was wären Beispiele dafür?

Gabriele Jaksch: Nehmen wir das Beispiel Arzneimittelverordnung. Orthoptist*innen beispielsweise brauchen ein Medikament, um ihre Untersuchungen durchführen zu können. Jetzt muss die Patientin nur dafür zum Augenarzt – auch wenn der, wie zum Beispiel im Waldviertel, 150 Kilometer weit weg ist. Das ist nicht sinnvoll. Das ist, als ob dem Maurer seine Kelle zum Arbeiten fehlt.

Interview Jaksch
Interview Jaksch
Interview Jaksch
Interview Jaksch
Interview Jaksch

Die von ihnen angesprochene Möglichkeit, seitens der MTD-Berufe Ärzt*innen zu entlasten, ist ja auch Teil des Konzepts von PVE. Haben Sie den Eindruck, dass MTD-Berufe da ausreichend gut eingebunden sind?

Gabriele Jaksch: Ich finde, der Ausbau der PVE ist eine großartige Entwicklung. Und das bisherige Feedback ist auch, dass die Zusammenarbeit der Gesundheitsberufe wirklich sehr gut klappt. Natürlich sehen wir auch in diesem Bereich noch Verbesserungsbedarf, insbesondere weil derzeit die konkreten Leistungen der einzelnen MTD-Berufe nicht ausreichend abgebildet sind. Die pauschale Abgeltung ist keine gute Lösung – auch weil sie uns nicht zeigt, nach welchen Leistungen welcher Bedarf besteht. Es gibt sehr gute Berechnungen der GÖG, welche Erkrankungsbilder in welchen Regionen besonders häufig sind. Hier würden wir uns in manchen Bundesländern wünschen, dass die Einbeziehung der jeweiligen MTD-Berufe in der Planung noch besser stattfindet. Hier geht es auch um praktische Fragen der Ausgestaltung des jeweiligen Gebäudes. Die Physiotherapie im Keller, ohne Lift einzuplanen ist sicher suboptimal – doch solche Geschichten höre ich.

Sie haben Telemedizin angesprochen. Wo sind denn aus Sicht der MTD-Berufe die großen Potenziale, aber vielleicht auch Risiken, der Digitalisierung im Gesundheitswesen?

Gabriele Jaksch: Das Thema E-Health hat auch in Österreich viel Aufschwung erlebt, nicht zuletzt durch den European Health Data Space. Hands-on ist und bleibt gerade in den therapeutischen Berufen wie zum Beispiel der Ergotherapie ein sehr wichtiges Element – und ich glaube nicht, dass das jemals wegfallen wird. Aber es gibt viele Bereiche, die auch online möglich sind – wie die Übungsprogramme als Therapeut*in zu korrigieren oder als Diätolog*in Beratungsgespräche zu führen.
Eine Kollegin, Barbara Seebacher, aus Innsbruck hat vor der Pandemie untersucht, in welchem Bereich MTD-Berufe telemedizinisch arbeiten. Das Ergebnis war sehr dürftig. Nach der Pandemie hat sie das wiederholt, und erwartungsgemäß war ein Riesenaufschwung zu verzeichnen. Aus diesem großen Themenbereich ist bei MTD-Austria eine Arbeitsgruppe Digitalisierung entstanden, wo wir uns sehr detailliert mit den aktuellen Fragestellungen auseinandersetzen, damit wir unseren Input in die Verhandlungen einbringen können. Wobei das Thema ELGA eine große Priorität hat. Wann wird es endlich nicht mehr notwendig, dass eine Patient*in mit dem großen Sackerl in meine Ordination kommt und hoffentlich die richtigen Befunde mithat? Die Ankopplung an ELGA ist für die Gesundheitsdiensteanbieter*innen der MTD-Berufe sehr wichtig. Und auch das Thema DiGA, digitale Gesundheitsanwendungen. Unsere Gesundheitsberufe verbringen viel Zeit mit den Patient*innen. Wir können DiGA also gut vermitteln und erklären. Das ist eine wichtige Unterstützung.

In keiner gesundheitspolitischen Diskussion im Moment fehlt das Thema Patient*innensteuerung. Da könnten ja gerade die MTD-Berufe viel dazu beitragen, dass Patient*innen nicht gleich in der obersten Versorgungsstufe landen. Wie sehen Sie das?

Gabriele Jaksch: Grundsätzlich haben wir auch beim Thema Patient*innenlenkung in der Pandemie viel gelernt, und die Steuerung über 1450 ist sicher ein guter Ansatz. Ich freue mich, dass diese Hotline jetzt so gut genutzt und weiter ausgebaut wird. Wichtig wäre, dass auch hier die Vernetzung mit allen Gesundheitsberufen noch optimiert wird. Und es ginge noch mehr. In den nordischen Ländern ist es absolut üblich, dass Patient*innen von einer Krankenpflegeperson, aber auch von einer MTD-Person entweder gemeinsam oder hintereinander angeschaut werden, und nicht gleich zum Arzt kommen. Ein solcher Ansatz hat viel Potenzial – und er führt auch zurück zu unserem Anfangsthema: Hier könnten unsere Berufe viel zur Entlastung und zur Bewältigung der Demografie-Krise beitragen. Ärzt*innen waren immer sehr wesentlich im Gesundheitswesen und werden es nach wie vor bleiben. Aber auch den anderen Gesundheitsberufen kann man viel zutrauen – genauso wie den Patient*innen.

Zur Person

Mag. Gabriele Jaksch ist seit Dezember 2006 Präsidentin von MTD-Austria, Dachverband der gehobenen medizinisch-therapeutisch-diagnostischen Gesundheitsberufe Österreichs. In dieser Funktion ist sie auch Mitglied in zahlreichen Gremien vertreten, wie dem obersten Sanitätsrat, der Gesundheitsberufekonferenz oder in verschiedenen Arbeitsgruppen der Gesundheit Österreich GmbH.
Neben Ihrer Tätigkeit als Präsidentin arbeitet Gabriele Jaksch auch in ihrem Beruf als freiberufliche Physiotherapeutin und als Vortragende an hochschulischen MTD- Studiengängen. Sie war auch pädagogische Mitarbeiterin am Assessment für den Fachhochschul-Diplomstudiengang „Militärische Führung“ am Institut für Offiziersausbildung in Wiener Neustadt.

Zu den MTD-Berufen

MTD-Austria hat sieben Berufsverbände der gehobenen medizinisch-therapeutisch-diagnostischen (MTD) Gesundheitsberufe Österreichs als Mitglieder und arbeitet in deren Auftrag. Es sind diese:

  • Biomed Austria, Österreichische Fachgesellschaft für Biomedizinische Analytik

  • Diätologie Austria, Verband der Diätolog*innen Österreichs

  • Ergotherapie Austria, Bundesverband der Ergotherapeut*innen Österreichs

  • logopädieaustria, Berufsverband der österreichischen Logopäd*innen

  • orthoptik austria, Verband der Orthoptist*innen Österreichs

  • Physio Austria, Bundesverband der Physiotherapeut*innen Österreichs

  • rtaustria, Berufsfachverband für Radiologietechnologie Österreich

Fotos:
Titelbild: Präsidentin Jaksch © LSZ Gesundheitskongress ESS 2025
Bildergalerie: Portrait Gabriele Jaksch, Plattform Patientinnensicherheit © Manfred Seidl; Podium PHK 2025 © Sabine Weissensteiner; Workshop PHK 2025 © Alexandra Weghofer

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