Künstliche Intelligenz könnte in Zukunft als Unterstützung bei Diagnose von Schild-drüsenknoten zum Einsatz kommen. Erste Tests und Studien sind vielversprechend.
Text: Karin Lehner
Schilddrüsenknoten sind in Mitteleuropa eine häufige Diagnose. Schätzungen zufolge entwickeln rund 30 Prozent aller in Österreich lebenden Erwachsenen mit zunehmendem Alter welche, vor allem Frauen. Entdeckt werden sie meist zufällig bei Ultraschall-Untersuchungen. Die Mehrheit der Knoten ist gutartig. Nur rund ein Prozent entpuppt sich als bösartig.
Ihre frühzeitige Erkennung sowie Beurteilung ist essenziell. Sie erfolgt mittels hochsensitiver Schilddrüsen-Sonografie. Zur verbesserten und systematischen Erfassung bösartiger Knoten wurde 2017 das Thyroid Imaging, Reporting and Data System (TIRADS) veröffentlicht. Hier wird unter Nutzung verschiedener Merkmale wie Größe, Form, Begrenzung, Echogenität, Zusammensetzung und Kalzifizierungen ihre Eigenschaft in Form von Punkte-Scores zusammengefasst. Ziel ist die Ableitung der weiteren Vorgehensweise in Richtung Diagnose. Ob es beispielsweise die nuklearmedizinische Szintigraphie zur Funktionsbeurteilung der Knoten braucht oder eine Feinnadel-Punktion.
In Zukunft könnten hier auch Künstliche-Intelligenz-Tools zum Einsatz kommen, die auf Deep-Learning-Algorithmen basieren, als Unterstützung von Fach-Ärzt*innen für Nuklearmedizin in der Diagnostik. Aber auch (Haus-)Ärzt*innen außerhalb von Spitälern werden künftig von KI-Systemen profitieren. Letztere könnten ihnen einen digitalen Leitfaden in punkto Diagnose und Behandlung an die Hand geben. Schließlich ist die Beurteilung der Knoten nicht immer eindeutig, insbesondere für junge Ärzt*innen und manchmal selbst für erfahrene. So könnte die KI empfehlen, in einem ersten Schritt zunächst die TSH-Werte inklusive FT3 und FT4 zu bestimmen.
Primar Univ.-Prof. Dr. Siroos Mirzaei, MBA, ist Vorstand des Instituts für Nuklearmedizin an der Klinik Ottakring und Landesfachgruppenobmann-Stellvertreter der Nuklearmedizin Wien. „Bei Verdacht auf eine Funktionsstörung der Schilddrüse verspricht die Kombination aus ärztlicher Expertise und KI-Technologie eine noch präzisere Diagnostik von bösartigen Schilddrüsen-Erkrankungen. Die Letztbeurteilung obliegt aber auch in Zukunft Kolleg*innen.“
Bei Verdacht auf bösartige Schilddrüsen-Erkrankungen verspricht die Kombination aus ärztlicher Expertise und KI eine noch präzisere Diagnostik.
Prim. Univ.-Prof. Dr. Siroos Mirzaei, MBA
Doch ein breiter Einsatz der innovativen Software ist noch Zukunftsmusik. „Wir befinden uns auf dem Weg erst ganz am Anfang“, erklärt der Nuklearmediziner mit Blick auf die klinische Praxis. An ausgewählten Standorten werden die KI-Programme aber bereits erfolgreich getestet. „Doch sie sind derzeit noch nicht für den Routineeinsatz und eine große Anzahl von Patient*innen ausgelegt.“ Schließlich benötigt die Software für den Vergleich großer Datenmengen Ultraschallbilder, am besten im 3D-Format. Derzeit fehlt jedoch häufig die Schnittstelle zur KI. Oder die Ultraschallaufnahmen sind überhaupt nur zweidimensional erstellt. „Im 3D-Modus mit hochauflösenden Bildern kann die KI die Bildinformationen mit gespeicherten Datensätzen besser vergleichen. Für eine noch robustere Diagnose beziehungsweise Empfehlung“, blickt Mirzaei in die Zukunft.
Für eine Studie in Frankreich wurde die Software mit Ultraschallbildern von Schilddrüsenknoten trainiert. Und anhand der sogenannten Bethesda-Klassifikation in punkto Beantwortung der Frage geschult, ob eine Feinnadelpunktion notwendig sei oder nicht. Die Ergebnisse zeigen, dass KI unnötige Punktionen vermeiden und mehr Sicherheit für Patient*innen bringen kann, weil sie kritische Befunde so zuverlässig erkennt wie erfahrene Fachärzt*innen.
Mit der Vermeidung unnötiger Untersuchungen können auch Kosten in der Primärdiagnostik von Schilddrüsenerkrankungen bei Hausärzt*innen gespart werden, beispielsweise die laut Mirzaei „wenig aussagekräftige Total-Bestimmung von Schilddrüsenhormonen im Blut oder nicht indizierte Bestimmung von Schilddrüsen-Antikörpern“. Schließlich würde KI zunächst zum Ultraschall raten und nicht gleich zur Szintigrafie. Doch für moderne Präzisionsdiagnostik brauche es auch die Änderung der Erwartungshaltung von Patient*innen. Viele würden sich enttäuscht zeigen, wenn nicht sofort die große Untersuchungsmaschinerie angeworfen wird. „Doch das macht in vielen Fällen weder diagnostisch noch kostentechnisch einen Sinn.“
Außerdem müssten vor einem breiten Einsatz der neuen Software noch die Kriterien als Beurteilungsbasis festgelegt werden. Gelten die europäischen, koreanischen oder amerikanischen für die Diagnose von Schilddrüsenknoten? „Weil es hier regionale Unterschiede gibt, braucht es zuerst die Einigung internationaler Fachgesellschaften“, erläutert Mirzaei. „In drei bis fünf Jahren könnte KI bei der Diagnostik von Schilddrüsenknoten, nach breitem Einsatz von -Ultraschall, jedoch bereits ausgerollt werden.“
Fotos: Titelbild © Freepik; Mirzaei © privat