Lebensmittelkonzerne kaufen Zahnarztpraxen, Supermarkteigentümer betreiben Hausarztordinationen: Ein internationaler Trend zur Konzernisierung der Medizin alarmiert österreichische Ärzt*innenvertreter.
Wenn Univ.-Prof. Dr. Thomas Szekeres über die Zukunft des österreichischen Gesundheitswesens spricht, klingt der Ehrenpräsident der Kammer für Ärztinnen und Ärzte in Wien ungewöhnlich alarmiert. „Es gibt einen deutlichen internationalen Trend, dass Konzerne und Finanzinvestoren, die inhaltlich weit weg von der Medizin sind, in den Gesundheitsmarkt drängen“, warnt der Humangenetiker, Labormediziner und Interessensvertreter. Unter dem programmatischen Titel „Gesundheitsmarkt vor dem Umbruch: Immobilienkonzerne & Co. als neue Gesundheitsanbieter“ hat er kürzlich einen Vortrag zum Thema gehalten.
Der Grund für das Interesse medizinfremder, nicht gemeinnütziger Eigentümer an Gesundheitseinrichtungen liegt auf der Hand: „Die Medizin ist konjunkturunabhängig“, erklärt Szekeres. „Die Menschen werden krank, auch wenn die Wirtschaft nicht floriert. Oder häufig gerade in ökonomisch schwierigen Zeiten ganz besonders.“ Diese Planungssicherheit mache den Gesundheitsmarkt gerade auch für Investoren attraktiv, die nach krisensicheren Geschäftsfeldern suchen.
In anderen Ländern gibt es eine ganze Reihe von Beispielen: Der Jacobs-Konzern etwa, bekannt für Kaffee und Lebensmittel, kauft seit zwei Jahren systematisch Zahnarztpraxen in Deutschland auf. Die Schweizer Supermarktkette Migros betreibt über ihre Tochtergesellschaft Medbase dutzende Standorte mit Hausarzt- und Zahnarztordinationen. In Deutschland haben sich Konzerne im großen Maßstab auch in die Labormedizin, Pflege oder bei Apotheken eingekauft. „Wir glauben, dass diesem internationalen Trend folgend ähnliche, medizinferne Player auch nach Österreich drängen und dass man deren Einstieg in unser Gesundheitssystem nach Möglichkeit hintanhalten sollte,“ sagt Szekeres.
Die Sorgen der Ärzt*innenvertretung beziehen sich vor allem auf ökonomischen Druck: „Wenn Eigentümer vorwiegend an Profiten interessiert sind, bestimmen nicht mehr in erster Linie die medizinischen Notwendigkeiten das Handeln“, befürchtet Szekeres. Stattdessen würden in solchen Konstellationen Leistungen „nach ihrem Gewinnpotenzial erbracht. Das ist auch klar, denn solche Investoren müssen ihre Aktionäre bedienen.“ Die Ärzt*innen seien dann nicht Eigentümer*innen der Ordinationen, sondern als Angestellte tätig, und damit der Gewinnorientierung verpflichtet und in ihren Entscheidungen medizinfremden Kriterien unterworfen. Das könne höchst problematische Auswirkungen auf die Patient*innenversorgung haben, so Szekeres.
Er verweist auf Erfahrungen aus Deutschland mit der großflächigen Privatisierung von Spitälern. „Nachdem manche Leistungen besser und andere schlechter bezahlt werden, haben privatisierte Spitäler primär die Leistungen angeboten, die ihnen viel gebracht haben.“ Das sei aus Sicht der Eigentümer nachvollziehbar, aber aus Sicht der Patient*innen „nicht gerade optimal“.
Meine Hoffnung ist, dass die Gesundheit nicht zum Spielball von nicht gemeinnützigen Investoren wird.
Univ.-Prof. Dr. Thomas Szekeres
Ein Blick auf internationale Gesundheitssysteme untermauert laut Szekeres auch die Befürchtung, dass eine Abkehr von der Gemeinnützigkeit Gesundheitssysteme teurer mache: Während die USA als Paradebeispiel privatisierter Medizin 17 bis 18 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Gesundheit ausgeben, liege der Anteil in Österreich bei zehn bis elf Prozent. „Je mehr privat, umso teurer wird es“, so Szekeres.
Die Gefahren der Konzernisierung seien nicht abstrakt, betont Szekeres. Bereits jetzt würden medizinferne Investoren, zum Beispiel aus der Banken- oder Baubranche, in Österreich ausgeprägtes Interesse am Gesundheitsmarkt zeigen. Das aktuelle Milliardenloch im österreichischen Budget könnte zusätzlichen Druck in diese Richtung erzeugen.
Die österreichische Gesundheitspolitik habe durch Gesetzesänderungen den Weg für neue Anbieter geebnet. „Es ist einfacher geworden, zum Beispiel Ambulatorien zu gründen“, sagt Szekeres. Die Österreichische Gesundheitskasse hoffe auf günstigere Versorgung und mehr Angebote durch Betreibergesellschaften statt durch individuelle niedergelassene Ärzt*innen. Das könne aber eine gefährliche Strategie sein, so Szekeres: „Vielleicht werden zum Einstieg attraktive Angebote gemacht, aber kaum haben solche Player dann eine gewisse Marktmacht oder gar Monopolstellung, dreht sich das um und sie könnten die Kosten diktieren.“
Was das Versorgungsangebot betrifft, so zeigen die Zahlen einen zusätzlichen Bedarf: Seit 2010 ist die Zahl der Kassenärzt*innen in Wien um mehr als zehn Prozent gesunken, während sich die Wahlärzt*innen um mehr als 50 Prozent vermehrten. Gleichzeitig wächst die Wiener Bevölkerung kontinuierlich – um mehr als 300.000 Menschen seit 2012. „Wir haben viel Angebot, wenn man die privaten Ärzt*innen dazu zählt“, sagt Szekeres. Das Problem liege bei zu wenig Kapazitäten in der Kassenmedizin: „Dass allerdings ein Ambulatorium im Eigentum von medizinfernen Ketten die Versorgung gegenüber Kassenmediziner*innen verbessern könnte, bezweifle ich.“
Auch jenseits der traditionellen Einzelordination gäbe es verschiedene Konzepte und Organisationsformen, die Teamarbeit und Gesundheitszentren möglich machen – ohne „Konzernisierung“. Szekeres nennt etwa das Modell der Gruppenpraxen, wobei er zusätzlich zu den aktuell bestehenden monodisziplinären Konzepten auch multidisziplinäre Formen der Kassen-Gruppenpraxis für sinnvoll und versorgungswirksam hielte. Ein anderes bereits gut etabliertes Beispiel seien „die Primärversorgungszentren in Ärzt*innenhand oder gemischte Organisationsmodelle, bei denen nichtärztliche Betreiber*innen geeignete Immobilen an Ärzt*innen vermieten. Das können reine Vermietungsmodelle sein, aber auch Konzepte mit zusätzlichen Dienstleistungen wie etwa gemeinsames Termin- oder Rezeptionsmanagement. Solche Modelle gibt es und die funktionieren sehr gut.“ Wichtig sei aus seiner Sicht jedenfalls, so Szekeres, dass „nichtärztliche Eigentümer keinen Einfluss auf therapeutische Entscheidungen nehmen, damit diese nur nach medizinischen, und nicht nach ökonomischen Kriterien erfolgen können.“
Klare rechtliche Regelungen, um „Heuschrecken von der Gesundheitsversorgung fernzuhalten“, seien wichtig, so Mediziner*innen-Vertreter Szekeres. „Meine Hoffnung ist, dass die Gesundheit nicht zum Spielball von nicht gemeinnützigen Investoren wird.“
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