
Ein innovatives Atemgerät gibt Lawinenverschütteten entscheidende Minuten – und Rettern eine reelle Chance. Die Ergebnisse einer spektakulären Studie in den Südtiroler Bergen.
Text: Rosi Dorudi
Wenn eine Lawine einen Menschen verschüttet, beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit. „Innerhalb der ersten 35 Minuten sinken die Überlebenschancen rapide bis nach und nach der Sauerstoffmangel tödlich wird“, erklärt Dr. Frederik Eisendle, Assistenzarzt an der Innsbrucker Universitätsklinik für Anästhesie und Intensivmedizin und Mitglied der Bergrettung. Etwa zwei Drittel aller Lawinenopfer ersticken unter den Schneemassen. Ein neues Atemgerät aus Norwegen könnte künftig Leben retten: „Das tragbare Gerät Safeback SBX kann Verschütteten entscheidend mehr Zeit verschaffen“, so Eisendle, der das Gerät gemeinsam mit einem internationalen Forschungsteam und dem Bozener Forschungszentrum Eurac Research getestet hat. Für die klinische Studie ließen sich freiwillige Skitourengeher*innen zwischen 23 und 54 Jahren in 2.000 Metern Höhe in den Südtiroler Dolomiten mehr als einen halben Meter tief im Schnee eingraben. „Wir haben die Teilnehmenden im Vorfeld einem Gesundheitscheck unterzogen, um unnötige Risiken zu vermeiden“, berichtet Eisendle. Von den 24 zugelassenen Freiwilligen trug die eine Hälfte einen funktionierenden Safeback SBX im Rucksack, die andere Hälfte ein Placebo-Gerät. Es folgte ein Extremtest unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen.
„Was mit einem unter einer Lawine begrabenen Körper geschieht, hängt von vielen Faktoren ab, unter anderem von der Verschüttungsdauer aber auch von der Beschaffenheit des Schnees und der Zeit bis zur Bergung“, erläutert Eisendle. Daraus entsteht ein komplexes Zusammenspiel dreier physiologischer Prozesse: Sauerstoffmangel (Hypoxie), ein erhöhter CO₂-Gehalt im Blut (Hyperkapnie) und Unterkühlung (Hypothermie). „Wirken diese Faktoren zusammen, verkompliziert sich die Situation erheblich“, so Eisendle.
Bei Lawinenverschüttungen bestimmt vor allem die Schneebeschaffenheit, wie viel Sauerstoff eine eingeschlossene Person noch erhält. „Nasser, schwerer Schnee verdichtet sich stark – der Luftaustausch wird massiv eingeschränkt. Trockener, lockerer Pulverschnee hingegen lässt deutlich mehr Sauerstoff hindurch, während ausgeatmetes CO₂ besser entweichen kann“, erklärt er. Ebenso entscheidend ist, ob Mund und Nase frei liegen und ob sich eine Atemhöhle bildet. Je ungehinderter die Atmung, desto länger kann eine verschüttete Person überleben. Für den Test des Atemgeräts lagen die Proband*innen auf dem Bauch – der häufigsten Position, in der Verschüttete gefunden werden.

Kein technisches System ersetzt eine gute Vorbereitung. Prävention bleibt das wirksamste Mittel, um Todesfälle in den Bergen zu verhindern.
Dr. Frederik Eisendle
„Natürlich wollten wir für die Studie die Situation so realistisch wie möglich abbilden“, erklärt Eisendle. „Doch ganz ohne Kompromisse ging es nicht – den tatsächlichen Druck mehrerer Meter verdichteten Schnees auf den Brustkorb können wir im Testumfeld nicht nachstellen.“ Da es hierzu kaum verlässliche Daten gebe, habe das Team mit begründeten Annahmen arbeiten müssen. Zudem wurde eine Sauerstoffsättigung von 80 Prozent als Abbruchkriterium festgelegt. „Das ist für gesunde Personen vertretbar“, so Eisendle.
Die Ergebnisse der Untersuchung waren eindeutig: In der Kontrollgruppe brachen vier von zwölf Teilnehmenden das Experiment vorzeitig aufgrund von Atemnot ab. Weitere sieben mussten nach durchschnittlich sechs Minuten sofort befreit werden, als ihre Sauerstoffsättigung unter die kritischen 80 Prozent fiel. Lediglich eine Person schaffte die vollen 35 Minuten. Bei den Testpersonen mit funktionierendem Safeback SBX sah es anders aus: Niemand brach wegen Atemnot ab. „Elf von zwölf Teilnehmenden blieben die vollen 35 Minuten verschüttet – ohne relevanten Abfall des Sauerstoffgehalts im Blut. Das ist wirklich bemerkenswert“, resümiert Eisendle.
Schnee ist physikalisch gesehen ein hochporöses Gefüge aus Eis und Luft, bei dem in frischem, lockerem Schnee bis zu 90 Prozent des Volumens aus Hohlräumen bestehen. Der Safeback SBX macht sich diese natürliche Porenstruktur zunutze und nutzt die in der Schneedecke gespeicherte Luft. Sobald eine verschüttete Person das Gerät über einen Griff an den Schultergurten aktiviert, saugt eine elektrische Pumpe sauerstoffreiche Luft aus dem umgebenden Schnee an und leitet sie direkt vor Nase und Mund. Mit bis zu 150 Litern pro Minute – etwa 90 Minuten lang. Dank dieses Luftstroms reicht selbst eine kleine Atemhöhle aus, damit eine verschüttete Person mit freien Atemwegen trotz ausgeatmetem Kohlendioxid für mehr als 35 Minuten überleben kann. „In einer realen Lawinensituation hätten Rettungskräfte damit mehr als fünfmal so viel Zeit zur Bergung – ein Zeitgewinn, der über Leben und Tod entscheiden kann“, so der Studienautor.






Rechts Giacomo Strapazzon, dahinter mit blauer Jacke Frederik Eisendle

Forschungsteam beim Forschungsversuch

Die Teilnehmerin wird mit dem Gesicht nach unten eingegraben
Trotz der eindrucksvollen Resultate warnt Eisendle vor falscher Sicherheit. „Kein technisches System ersetzt eine gute Vorbereitung. Prävention bleibt das wirksamste Mittel, um Todesfälle in den Bergen zu verhindern“, betont er. Technologien wie moderne, elektrisch ausgelöste Lawinenairbags haben die Überlebenschancen bereits erheblich verbessert. „In Kombination mit dem Safeback SBX lässt sich das Sicherheitsniveau vermutlich weiter steigern“, so der Experte. Doch ohne fundierte Tourenplanung, ein Verständnis der aktuellen Lawinensituation und die obligatorische Ausrüstung mit LVS-Gerät, Sonde und Schaufel blieben solche Systeme nur Ergänzungen. „Sie sind zudem kostspielig – das darf man nicht übersehen.“
Die zentrale Botschaft ist daher: Jeder Sicherheitsgewinn verpufft, wenn er zu leichtsinnigem Verhalten verleitet – etwa zu Touren bei hoher Lawinenwarnstufe oder in besonders heiklem Gelände. Denn die sicherste Lawine ist jene, die gar nicht erst ausgelöst wird.
Fotos: © Eurac Research/Marina Baldo