(c) Sandra Schnöll
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Mobile Pflegeversorgung im Fokus

Gesundheitsberufe
Versorgung

Immer mehr Pflegebedürftige benötigen mobile Unterstützung, doch fehlende Finanzierungsmodelle und strukturelle Hürden bremsen den Ausbau ambulanter Angebote.

Text: Rosi Dorudi

Der Bedarf an mobiler Pflege wächst schneller, als das Gesundheitssystem darauf reagieren kann. Schon heute leben in Österreich mehr als 456.000 pflegebedürftige Menschen, in den kommenden Jahren dürfte diese Zahl auf rund 750.000 steigen. Gleichzeitig nehmen mobile Pflegeleistungen kontinuierlich zu, 2023 waren es bereits mehr als 155.000 betreute Personen. Dennoch bleibt der Zugang zur häuslichen Versorgung für viele unzureichend – besonders für Personen mit geringem Einkommen, die notwendige Leistungen aus Kostengründen oft nicht abrufen. „Viele Menschen verzichten auf Pflege, obwohl sie diese benötigen", sagt die diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin Sandra Schnöll. „Nicht weil der Bedarf fehlt, sondern weil die Finanzierungslücke zu groß ist, vor allem wenn das Pflegegeld dafür nicht ausreicht.“

Schnöll kennt diese Versorgungslücke aus erster Hand. Während ihrer Tätigkeit im Bettenmanagement wurde ihr klar, wie groß der Unterstützungsbedarf nach Entlassungen tatsächlich ist. „Ich habe täglich erlebt, wie Familien nach einem Spitalsaufenthalt plötzlich alleine dastanden“, erzählt sie. Diese Erfahrungen waren schließlich der Auslöser für die Gründung ihres mobilen Pflegedienstes „LebensWert“ in Kuchl mit dem Ziel, genau jene Versorgungslücke zu schließen.

Kontinuierliche Betreuung

Nach der Gründung blieb jedoch vieles Pionierarbeit. Schnöll musste sich ihren Patient*innenstamm Schritt für Schritt aufbauen. „Das Bewusstsein für mobile Pflegeangebote ist nach wie vor gering – selbst im niedergelassenen Bereich“, sagt sie. Ärzt*innen vor Ort musste sie ihre Dienste und die damit verbundenen Vorteile erst erklären. Das hält sie für ein zentrales Problem. „Viele Patient*innen sowie deren Angehörige würden solche Leistungen in Anspruch nehmen, wenn sie früher darauf hingewiesen würden.“ Mit gezielten, kostengünstigen Maßnahmen wie Flyern und lokalen Inseraten konnte sie ihre Sichtbarkeit erhöhen – die Nachfrage stieg spürbar, auch wenn die Bekanntheit insgesamt noch ausbaufähig bleibt. Seit Oktober hat sie Verstärkung: Christine Siller, ebenfalls diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin, bringt Spezialisierungen in Kinder- und Jugendlichenpflege, OP-Pflege und Diabetesberatung mit. „Wir decken unterschiedliche Bereiche ab und können dadurch viel gezielter unterstützen. Allein wäre das in dieser Form nicht möglich“, erklärt Schnöll.

Gemeinsam betreuen sie derzeit 26 Patient*innen im häuslichen Umfeld – auch abends und am Wochenende. „Wir sind erreichbar, wenn uns jemand braucht – nicht nur zu Bürozeiten. Gerade in akuten Situationen kann das entscheidend sein.“ Dieser Ansatz schafft Vertrauen und bindet Patient*innen langfristig. „Viele, die zuvor bei größeren Organisationen betreut wurden, berichten von fehlender Kontinuität“, erzählt Schnöll. „Pflege funktioniert nur, wenn Menschen sich sicher fühlen. Das geht nicht mit ständig wechselnden Bezugspersonen.“

(c) Sandra Schnöll
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Politische Hürden

Obwohl Bedarf und Nutzen klar erkennbar sind, fehlt es an den notwendigen Rahmenbedingungen für einen breiteren Ausbau. „Ohne Vertrag mit der Österreichischen Gesundheitskasse müssen Patient*innen die Leistungen privat bezahlen - erstattet wird nur ein geringer Anteil“, erklärt Schnöll. Das schließt viele aus der Versorgung aus. „Wir könnten deutlich mehr bewirken, wenn ambulante Pflege systematisch finanziert würde und nicht von der individuellen Zahlungsfähigkeit abhinge.“ Eine gut ausgebaute mobile Versorgung wäre aus ihrer Sicht ein zentraler Hebel zur Entlastung von Spitälern, Pflegeheimen und Angehörigen.

Gleichzeitig ist Selbstständigkeit in der Pflege weit mehr als fachliche Betreuung. Neben Dokumentationspflicht, Abrechnung, Qualitätsmanagement sowie der Organisation von Vertretungen und Infrastruktur fallen zahlreiche administrative Aufgaben an. „Man ist Pflegerin, Unternehmerin und Administratorin zugleich – und das oft ohne Unterstützung.“ Viele Pflegekräfte schließen sich daher zu Netzwerken zusammen, um Ressourcen zu bündeln und Versorgungssicherheit im Krankheitsfall sicherzustellen. „Ohne strukturelle Unterstützung können kleine Anbieter*innen wie ich ihr Potenzial nicht ausschöpfen – Verantwortung darf nicht ausschließlich auf Einzelpersonen lasten.“

Strukturelle Absicherung

Für Entscheidungsträger*innen im Gesundheitswesen geht es längst nicht mehr um die Frage, ob mobile Pflege notwendig ist, sondern wie sie finanziell und organisatorisch abgesichert werden kann. „Wer möchte, dass Menschen länger zu Hause leben können, muss ambulante Pflege stärken – nicht nur ideell, sondern finanziell und organisatorisch“, so Schnöll. Damit mobile Angebote Wirkung entfalten, braucht es klare Prozesse, verbindliche Standards und verlässliche Finanzierung – besonders im Übergang zwischen Spital und häuslicher Betreuung, wo Versorgungslücken am deutlichsten spürbar sind. „Wir sind bereit, unser Angebot auszuweiten. Jetzt braucht es Rahmenbedingungen, die dies auch ermöglichen“, ergänzt sie. Entscheidend sei eine Politik, die ambulante Pflege als integralen Teil der Versorgung denkt und entsprechende Strukturen schafft – von fairen Vergütungsmodellen bis zu praktikabler Dokumentation und Vertretungslösungen. Nur so entstehe ein System, das Menschen ermöglicht, länger gut versorgt zu Hause zu leben – und gleichzeitig Spitäler, Pflegeheime und Angehörige spürbar entlastet, betont die Expertin.

Fotos: © Sandra Schnöll

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