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Pflege im Wandel

Gesundheitsberufe
Versorgung

Gesellschaftliche Ansprüche, Arbeitsrealitäten und internationaler Fachkräftewettbewerb fordern innovative Antworten für ein nachhaltiges Pflegesystem.

Text: Rosi Dorudi

„Es gibt nicht die eine Pflegeperson – jede Maßnahme muss unterschiedliche Lebensrealitäten berücksichtigen“, betonte MMag.a Dr.in Elisabeth Rappold beim Kongresstag Pflege der Vinzenz Gruppe, am 2. Oktober 2025. Unter dem Titel „Pflege im Wandel: Wie wir Fachkräfte gezielt gewinnen, halten und adäquat einsetzen können“ beleuchtete die Leiterin der Abteilung für Gesundheitsberufe und Langzeitpflege bei der Gesundheit Österreich GmbH zentrale Lösungsansätze für die Zukunft der österreichischen Pflege. Wie Rappold erklärt, greifen Standardlösungen zu kurz, weil Pflegeberufe Menschen in völlig unterschiedlichen Lebens- und Berufssituationen ansprechen: Schulabsolvent*innen, Quereinsteiger*innen, Wiedereinsteiger*innen und erfahrene Fachkräfte benötigen jeweils maßgeschneiderte Angebote. Ihr zentrales Anliegen: flexible Arbeitszeitmodelle, verlässliche Dienstpläne und eine gute Vereinbarkeit mit familiären Verpflichtungen bzw. dem Arbeit-Freizeit-Verhältnis. „Dazu gehören auch Unterstützungsangebote wie Kinderbetreuung oder Wiedereinstiegsprogramme. Wichtig ist es aber auch zu verstehen, dass sich diese Bedürfnisse über den Lebensverlauf verändern: Was für junge Berufseinsteiger*innen passt, kann für erfahrene Pflegepersonen mit Betreuungspflichten ganz anders aussehen.“ Deshalb brauche es laufende Anpassungen und individuelle Lösungen – sowohl auf betrieblicher Ebene als auch in der Personalplanung. Besonders Rückkehrerinnen nach Karenz oder beruflicher Pause benötigten individuell abgestimmte Begleitprogramme. „Eine nachhaltige Attraktivierung der Pflegeberufe beginnt demnach mit der Erkenntnis, dass es viele unterschiedliche Pflegepersonen gibt, die entsprechend differenzierte Maßnahmen brauchen“, unterstreicht die Expertin.

Eine zentrale Stellschraube bleibt laut Rappold die Wirksamkeit innovativer Ausbildungswege und neuer Versorgungsmodelle: „Angebote allein reichen nicht. Aus-, Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen entfalten ihre Wirkung nur dann, wenn sie ein klares Gegenstück in der Versorgungsrealität haben.“ Das bedeutet: Es braucht nicht nur Ausbildungsplätze, sondern auch definierte Arbeitsplatzbeschreibungen, finanzierte Stellen und klare Rollenbilder, in denen die erworbenen Kompetenzen tatsächlich eingesetzt werden können. „Für Quereinsteiger*innen sind niederschwellige, berufsbegleitende Modelle wichtig – etwa modulare Ausbildungswege oder gezielte Umschulungsprogramme. Community Nurses sind ein gutes Beispiel: Sie zeigen, wie hochqualifizierte Pflegekräfte präventiv und koordinierend tätig sein können. Damit dieses Modell langfristig zur Entlastung beiträgt, braucht es eine gesetzliche Verankerung, eine stabile Finanzierung und eine klare Integration in bestehende Versorgungsstrukturen.“ Auch Versorgungsmodelle wie Pflegedrehscheiben oder Primärversorgungseinheiten könnten nur dann nachhaltig wirken, wenn sie mit interprofessionellen Konzepten und abgestimmten Zuständigkeiten arbeiteten. „Die Ausbildung muss also immer im Kontext der Versorgung gedacht werden – sonst bleibt sie ein gut gemeintes, aber isoliertes Angebot“, so Rappold.

Portrait Elisabeth Rappold (c) privat

Eine nachhaltige Attraktivierung der Pflegeberufe beginnt mit der Erkenntnis, dass es viele unterschiedliche Pflegepersonen gibt, die entsprechend differenzierte Maßnahmen brauchen.

MMag.a Dr.in Elisabeth Rappold

Leiterin der Abteilung für Gesundheitsberufe und Langzeitpflege bei der Gesundheit Österreich GmbH

Integration internationaler Pflegekräfte

Im Hinblick auf den demographischen Wandel und wachsenden Fachkräftemangel sieht die Expertin die Integration internationaler Pflegekräfte als Chance: „Internationale Pflegekräfte leisten einen wertvollen Beitrag zur Sicherung der Versorgung und bringen vielfältige Perspektiven und Erfahrungen mit, die das System fachlich und kulturell bereichern.“ Die Herausforderungen seien jedoch differenziert zu betrachten, konstatiert sie. „Seitens der Gesetzgebung, aber auch der Bildungsstätten, wurde in Österreich bereits viel getan – etwa durch die Einrichtung eigener Nostrifikationslehrgänge und die Möglichkeit, gezielte Ausgleichsmaßnahmen zu absolvieren.“ Herausfordernd bliebe aber die Umsetzung in der Praxis. „Ein zentrales Problem ist die Sprachkompetenz: Deutsch ist eine komplexe Sprache, und das Erlernen auf dem erforderlichen Niveau (B2) braucht Zeit. In dieser Phase ist die berufliche Integration oft noch nicht möglich, was zu Verzögerungen führt.“ Zudem zeige sich, dass Anerkennungen aus EU-Ländern deutlich häufiger erfolgen als Nostrifikationen von Drittstaatsangehörigen. Das liege unter anderem an der automatischen Anerkennung gemäß EU-Richtlinie 2005/36/EG, während Drittstaatenabschlüsse eine individuelle Gleichwertigkeitsprüfung durchlaufen müssten – mit teils erheblichen Unterschieden in Ausbildungsinhalten und Praxisanteilen. „Zudem braucht es auch faire Arbeitsbedingungen, soziale Einbindung und berufliche Begleitung, damit Integration nicht nur rechtlich, sondern auch menschlich gelingt und es im Team sozial zu keinen Zerwürfnissen kommt“, ergänzt Rappold. Die Einhaltung des WHO-Kodex zur ethischen Anwerbung stelle dabei einen unverzichtbaren ethischen Rahmen dar, um sicherzustellen, dass die Anwerbung internationaler Pflegekräfte nicht zulasten der Herkunftsländer erfolgt.

Technik allein reicht nicht aus

Vielerorts tragen innovative Technologien, digitale Tools und interprofessionelle Zusammenarbeit in der Pflege bereits dazu bei, Arbeitsbedingungen zu verbessern und vorhandene Mitarbeiter*innen effizienter einzusetzen. „Digitale Tools können in der Pflege eine echte Unterstützung sein – vorausgesetzt, sie sind sinnvoll eingebettet. So helfen sie zum Beispiel dabei, die Pflegedokumentation zu präzisieren, ermöglichen Telepflege und beschleunigen viele Prozesse im Alltag“, sagt Rappold. „Aber Technik allein reicht nicht – Pflegepersonen müssen auch entsprechend geschult und eingebunden werden. Besonders wichtig ist für mich die interprofessionelle Zusammenarbeit. Ein Beispiel sind Primärversorgungseinheiten. Dort zeigt sich, wie durch abgestimmte Rollen und gemeinsame Verantwortung die Kompetenzen aller Berufsgruppen effizient genutzt werden können. Das stärkt nicht nur die Versorgungsqualität, sondern auch die Arbeitszufriedenheit im Team.

Pflegekongress © manupics
Pflegekongress © manupics
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Sicherstellung einer zukunftsfähigen Versorgung

Um die Qualität der Versorgung in einer alternden Gesellschaft sichern zu können, sind nicht zuletzt Prävention und regionale sowie interprofessionelle Angebote notwendig. „Ich denke, wir sollten verstärkt über eine „Pflegepyramide“ nachdenken“, sagt Rappold. „Also über abgestufte Modelle für den Bereich der Langzeitpflege – angefangen bei der Selbstpflege, über Caring Communities und mobile Dienste bis hin zur stationären Pflege. Das Ziel muss sein, die Menschen möglichst lange in ihrer Selbstständigkeit zu unterstützen und erst dann professionelle Pflege einzusetzen, wenn sie notwendig ist.“ Ein zentraler Punkt sei dabei die frühzeitige Stärkung der Gesundheitskompetenz und der Selbstpflegefähigkeit. „Wenn wir hier ansetzen, können wir nicht nur die Lebensqualität verbessern, sondern auch den Pflegebedarf langfristig reduzieren.“ Gleichzeitig brauche es eine gute regionale Vernetzung und interprofessionelle Zusammenarbeit – damit die Angebote dort ankommen, wo sie gebraucht werden. „Wenn wir es schaffen, Versorgung sektorenübergreifend zu denken und zu organisieren, dann kann die Vision des „Best Point of Service“ Realität werden – also die richtige Versorgung zur richtigen Zeit am richtigen Ort.“ Eine zukunftsfähige Versorgung setze gemeinsames Verantwortungsbewusstsein, innovative Ansätze und die Anerkennung der Vielfalt im Pflegeberuf als gesellschaftliche Stärke voraus – im Interesse der Pflegekräfte ebenso wie all jener, die auf professionelle Pflege angewiesen sind.

Fotos: Titelbild (c) OSS/Pierre Saffarnia; Porträtbild: © privat; Bildergalerie: Pflegekongress © manupics

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