Investitionen in Prävention entlasten das Gesundheitssystem langfristig und sichern darüber hinaus die Lebensqualität, sagt Gesundheitsökonom Dr. Alexander Braun von der Universität für Weiterbildung Krems im Gespräch mit INGO.
Text: Rosi Dorudi
Gesundheitsökonomie ist mehr als bloße Kostenanalyse. Sie zeigt, wie begrenzte Ressourcen optimal eingesetzt werden können, damit möglichst viele Menschen Zugang zu hochwertiger Versorgung erhalten. „Ein zentraler Hebel für eine langfristig stabile Versorgung ist Prävention“, betont Dr. Alexander Braun, MSc MA, Leiter des Zentrums für Evidenzbasierte Versorgungsforschung am Department für Evidenzbasierte Medizin und Evaluation der Universität für Weiterbildung Krems. Die Logik dahinter ist simpel: Wer gesund bleibt, verursacht weniger Kosten und profitiert gleichzeitig von mehr Lebensqualität. Doch wie lässt sich Prävention systematisch im Gesundheitssystem verankern? „Die größte Hürde besteht darin, kurzfristige Interessen wie Legislaturperioden oder Budgetvorgaben mit langfristigen Präventionszielen zu vereinbaren“, so Braun. Die Rolle der Gesundheitsökonom*innen sieht er dabei klar definiert: „Wir entwickeln evidenzbasierte Entscheidungsgrundlagen und Bewertungsinstrumente, die alle relevanten Perspektiven einbeziehen – von Patient*innen über Ärzt*innen bis zu Krankenkassen.“
Zwar existieren in Österreich bereits bewährte Präventionsstrukturen, ihr Potenzial wird jedoch bei Weitem nicht ausgeschöpft. „Kostenlose Vorsorgeuntersuchungen mit Lebensstilberatung oder Impfprogramme sind längst etabliert“, erklärt Braun, „Dennoch nehmen nur 15 Prozent der Bevölkerung die Angebote tatsächlich wahr. Hier braucht es mehr Bewusstseinsarbeit.“ Viele chronische Erkrankungen ließen sich durch rechtzeitige Erkennung nicht nur besser behandeln, sondern häufig ganz vermeiden. Personalisierte Einladungssysteme, wie sie einige Sozialversicherungen bereits erproben, seien ein wirkungsvolles Steuerungsinstrument, um die Teilnahme messbar zu erhöhen, so der Gesundheitsökonom. Auch niederschwellige Initiativen wie Community Nurses, die mit ihrem Public-Health-Know-how präventive Maßnahmen direkt zu den Menschen bringen und dabei Hausärzt*innen entlasten, seien vielversprechend. „Dennoch liegt Österreich trotz hoher öffentlicher Ausgaben für Prävention bei den gesunden Lebensjahren im europäischen Vergleich nur im unteren Mittelfeld.“
Ein Grund dafür liegt für Braun im Grundverständnis des heimischen Gesundheitssystems: „In Österreich dominiert nach wie vor die Reparaturmedizin.“ Anders sei das beispielsweise in Skandinavien, wo Prävention als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden werde. Hier übernehmen viele Akteur*innen eine wichtige Rolle, zum Beispiel Unternehmen. Erfolgreiche betriebliche Gesundheitsprogramme, von Bewegungskursen bis zu Angeboten zur Raucherentwöhnung, zeigen messbare Effekte: weniger Krankenstandstage, geringere Folgekosten und mehr Gesundheit im Alltag. Einer der am meisten unterschätzten Präventionsfaktoren sei Bewegung, sagt Braun: „Regelmäßige körperliche Aktivität beugt nicht nur Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes vor, sondern stärkt nachweislich auch die psychische Gesundheit.“ Um schon früh gesunde Routinen zu fördern, sollte tägliche Bewegung stärker im Schulalltag verankert werden. Für Erwachsene bieten digitale Tools wie gamifizierte Fitness-Apps mit personalisierten Trainingsplänen effektive Anreize, gesundheitsförderndes Verhalten langfristig zu etablieren.
Ein aktueller Forschungsschwerpunkt von Braun ist die Demenzprävention – ein Thema, das durch den demografischen Wandel zunehmend an Relevanz gewinnt. „Damit Prävention ernst genommen wird, müssen Forschungsergebnisse verständlich und alltagstauglich kommuniziert werden“, sagt er. Am besten gelingt das durch konkrete, greifbare Fakten. Studien zeigen etwa, dass jeder verlorene Zahn das Risiko für eine spätere Demenz erhöht. Solche Erkenntnisse unterstreichen, wie wichtig es ist, Gesundheitsvorsorge frühzeitig und zielgruppengerecht anzusetzen.
„Ein praxisnahes Beispiel ist das Projekt Zahnputzkrokodil in Niederösterreich, das bereits Kindergartenkindern spielerisch die Bedeutung von Zahnpflege näherbringt.“ Punktuelle Initiativen reichten aber bei Weitem nicht aus: „Langfristig brauchen wir eine umfassende Demenzstrategie, die zentrale Risikofaktoren wie hohe Cholesterinwerte, körperliche Inaktivität, Übergewicht oder soziale Isolation gezielt adressiert.“ Denn je früher gegengesteuert werde, desto größer seien die Chancen, Menschen auch im Alter ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Brauns Appell: „Jetzt ist der Moment, um die richtigen Weichen zu stellen – für ein Gesundheitssystem, das auch in Zukunft leistbar, nachhaltig und menschlich bleibt.“
Fotos: Titelbild Dr. Alexander Braun © Daniel Novotny; Sujetbild Freepik