Forscher*innen in Deutschland und Kanada untersuchten, wie neurologische Erkrankungen Augenbewegungen beeinflussen. Das ist bedeutsam für eine frühe Diagnose von Parkinson und verwandten Krankheiten.
Text: Karin Lehner
Ein Blick auf die Augen kann offenbar erste frühe Hinweise auf eine Parkinson-Erkrankung liefern. Das legen zwei Studien von Wissenschaftler*innen der Universität Marburg und der Queen’s University in Kingston im kanadischen Ontario nahe. Sie verglichen dafür Augenbewegungen, Pupillengröße und Augenblinzeln verschiedener Versuchsgruppen miteinander.
Ein Teil der Proband*innen litt an der Parkinson-Erkrankung, ein zweiter an einer neurodegenerativen Störung namens Multisystematrophie (MSA) und eine dritte Gruppe an isolierter Rapid-Eye-Movement-Schlafverhaltensstörung (iRBD), einem spezifischen Vorstadium von MSA oder Parkinson. In Österreich sind zwischen 25.000 und 30.000 Menschen an Parkinson erkrankt.
Studien-Erstautorin Dr.in Maha Habibi ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Neurologie sowie der Neurophysik am Universitätsklinikum Gießen und Marburg. „Die wichtigsten Erkenntnisse stammen von Proband*innen aus der iRBD-Gruppe. Sie haben ein hohes Risiko, an Parkinson oder MSA zu erkranken, und zeigen frühe Anzeichen von Augen-Bewegungsproblemen, insbesondere in der Vertikalen.“ Zudem weisen sie ähnliche Veränderungen der Pupillengröße auf wie Parkinsonkranke. „Auch die Reaktion ihrer Pupillen auf Licht ähnelte stark derjenigen, die wir bei Menschen mit Parkinson oder MSA sehen.“
Teilnehmer*innen aus der iRBD-Gruppe mit den schwächsten Pupillenreaktionen haben auch andere frühe Anzeichen von Parkinson, zum Beispiel einen verminderten Geruchssinn. „Das deutet darauf hin, dass eine Veränderung der Pupillenreaktionen ein erstes Signal für Parkinson sein könnte, noch bevor motorische Symptome wie Zittern oder Steifheit auftreten.“ Die Schwere der Pupillen-Anomalie aus der iRBD-Gruppe korreliert mit den Ergebnissen des DaTSCANs, eines bildgebenden Verfahrens zur Darstellung von Nervenfasern, die den Botenstoff Dopamin transportieren. Ihre Menge ist bei Parkinson-Patient*innen typischerweise reduziert.
Symbolbild Eye Tracking (c) Freeepik
Viele neurologische Erkrankungen beeinflussen Augenbewegungen, weil die Steuerung über ein weit verzweigtes Netzwerk im Gehirn erfolgt. Der Blick nach oben oder unten, ein schneller Sprung zu einem neuen Ziel oder das Verfolgen eines sich bewegenden Objekts erfordert die Koordination von Großhirnrinde, Basalganglien, Hirnstamm, Kleinhirn etc.
„Wenn eine Krankheit einen dieser Bereiche oder die Verbindungen zwischen ihnen beeinträchtigt, kann das die normalen Augenbewegungsmuster stören“, weiß Habibi. So könne beispielsweise die Unfähigkeit, die Augen nach oben oder unten zu bewegen, auf ein Problem im Mittelhirn hindeuten, während eine ruckartige oder langsame Augenbewegung auf eine Funktionsstörung in anderen Regionen hinweisen kann. „Neurologische Erkrankungen beeinflussen die Augenbewegungen, weil sie die Schaltkreise im Gehirn schädigen oder verändern, die normalerweise unseren Blick stabil und reaktionsfähig halten.“
Parkinson äußere sich in verlangsamten oder kleineren Augensprüngen (Sakkaden), Schwierigkeiten bei komplexen Augenbewegungsaufgaben, einer reduzierten Blinzel-Rate und einer veränderten Reaktion der Pupillen. Die Messung erfolgt in der Regel mit nicht-invasiven, video-basierten Eye-Tracking-Geräten. Sie helfen Forscher*innen zu verstehen, wohin und wie eine Person in Echtzeit schaut. Ausgestattet sind sie mit einer speziellen Kamera, die die Bewegung der Augen verfolgt. Sie erfasst ihre Position viele Male pro Sekunde. Moderne Eye-Tracking-Systeme sind schnell, zeichnen mit einer Abtastrate von 250, 500 oder mehr als 1000 Hertz auf und erfassen sogar Sakkaden exakt. Viele messen auch die Pupillengröße.
„Eye-Tracker helfen uns bei der Untersuchung in punkto Informationsverarbeitung, sowohl bei gesunden Menschen wie jenen mit einer Beeinträchtigung“, ist Habibi von den Anwendungsmöglichkeiten überzeugt. In Marburg setzten sie und das beteiligte Team die Systeme vielfältig ein, zur Messung schneller Augenbewegungen, wie lange sich Personen auf bestimmte Bereiche eines Bildschirms konzentrieren und wie ihre Pupillen auf Licht reagieren. „Eye-Tracker liefern eine Fülle von Informationen über die Funktionsweise unseres Gehirns und enthüllen oft Muster, die mit bloßem Auge nicht erkennbar sind.“
Die Ergebnisse beider Studien sind vielversprechend und deuten darauf hin, dass die Eye-Tracking-Technologie eine Schlüsselrolle bei der Identifizierung von Menschen mit einem Risiko für Parkinson und verwandten Erkrankungen spielen könnte, noch bevor neurologische Symptome vollständig auftreten.
In Marburg wird jedenfalls weitergeforscht. „Unser Ziel ist die Bestätigung der Ergebnisse der ersten Studie. Also ob die bereits festgestellten subtilen Veränderungen von Pupillengröße und Augen-bewegungen zur Prognose beitragen können, wer in den nächsten Jahren tatsächlich an Parkinson erkranken wird“, erklärt Habibi. „Und ob frühe Augenbewegungsmuster zuverlässige Marker für das Fortschreiten der Krankheit sind, vom Frühstadium bis zum Auftreten vollständiger Symptome wie dem verlangsamtem Bewegungsablauf.“ Die Chance für eine rechtzeitige Diagnose von Parkinson sowie verwandter Erkrankungen und den raschen Behandlungsbeginn. „Augen bieten einen tiefen Einblick in die Gesundheit des Gehirns.“
Titelbild: © Maha Habibi privat