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Scrollen bis zur Depression?

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Facebook, Instagram & Co. verändern den Diskurs über mentale Gesundheit. Ob sie sie auch negativ beeinflussen, wird derzeit intensiv erforscht, auch in Österreich.

Text: Karin Lehner

14-Jährige verbringen rund vier Stunden pro Tag mit ihrem Handy. Während die Nutzung von Messengerdiensten, Online-Spielen oder der Konsum von Nachrichten keine Auswirkungen auf die Lebenszufriedenheit hat, war das bei Streaming-Diensten und insbesondere bei Sozialen Netzwerken wie Instagram anders. Viele fühlen sich danach schlechter. Die Ergebnisse einer aktuellen Studie des Kommunikationswissenschaftlers Tobias Dienlin für die Universität Wien mit Antworten von rund 14.500 Schüler*innen.
Obwohl die Lebenszufriedenheit mit 73 Prozent Zustimmung hierzulande eher groß ist, zeigten sich psychische Probleme, wenn spezifische Fragen gestellt wurden. So gaben 86 Prozent der Befragten an, sich in den vergangenen zwei Wochen niedergeschlagen oder hoffnungslos gefühlt zu haben. 28 Prozent meinten sogar, dass sie Gedanken hatten lieber tot zu sein oder sich ein Leid zuzufügen. „Das ist natürlich zu viel“, folgerte Dienlin in einem Pressegespräch.

Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch ein Forschungsprojekt der FH Gesundheitsberufe OÖ. Hier fanden die Studienautor*innen heraus, dass „erhöhte Social-Media-Aktivität bei Jugendlichen zu Abhängigkeiten führen können, begleitet von Entzugserscheinungen bis hin zu Suizidalität“. Häufig hätten Betroffene psychosoziale Schwierigkeiten wie depressive Verstimmungen oder ein negatives Körperbild. In Verbindung mit Vielnutzung stünden psychische Krankheitsbilder wie Depressionen und Angsterkrankungen, Ess-, Schlaf- oder Impulskontrollstörungen sowie körperliche Begleiterscheinungen wie Übergewicht, Gelenksbeschwerden oder Kopfschmerzen. „Die aktive Nutzung von Social-Media-Plattformen an sich ist bei Jugendlichen aber noch kein Problem“, lautet das Fazit der Autoren. „Doch wie überall macht die Dosis das Gift.“

Wie die Nutzung sozialer Netzwerke die mentale Gesundheit von Menschen beeinflusst, ist aber längst eine polarisierte politisierte Debatte. Weil Social-Media-Forschung eine junge Disziplin ist, gibt es bis dato noch keine eindeutigen Aussagen aus validierten Studien. Von TikTok gibt es zum Beispiel keine oder nur sehr wenige Daten. Das verzerrt die Aussagekraft wissenschaftlicher Untersuchungen oder macht sie methodisch mangelhaft.

Hannah Metzler (c) Viviane Ruschak

Wir stecken mitten in einem Experiment, dessen Ausgang ungewiss ist. Ängste und Sorgen sind berechtigt.

Dr.in Hannah Metzler

Kognitionspsychologin, assozierte Social-Media Forscherin am Complexity Science Hub (CSH)

Sogar unter Wissenschaftler*innen ist Streit entbrannt, ob und wie Facebook, Instagram & Co. der mentalen Gesundheit schaden. Auf der einen Seite die Alarmisten, die gerne medial warnen. Auf der anderen Seite Expert*innen wie Dr.in Hannah Metzler. Die Kognitionspsychologin ist assoziierte Social-Media Forscherin am Complexity Science Hub (CSH) und plädiert für einen differenzierten Blick. „Für die Meinung, dass soziale Medien der mentalen Gesundheit schaden, gibt es derzeit noch keine zuverlässige wissenschaftliche Evidenz. Aber wir stecken mitten in einem Experiment, dessen Ausgang ungewiss ist. Ängste und Sorgen sind berechtigt.“

So seien Depressive öfter daheim und verbringen dadurch mehr Zeit in sozialen Netzwerken. „Aber wir scheitern an Daten, die beantworten, ob Social-Media der Grund für die Depression ist oder die Depression für die starke Nutzung sozialer Medien.“ Ein Henne-Ei-Problem. Meta-Studien würden derzeit nur einen kleinen Einfluss von Social-Media auf Mental Health belegen, und das nur bei bestimmen Nutzer*innen-Gruppen. In Österreich zeige sich noch keine große psychologische Krise wegen der Nutzung sozialer Medien. „Laut einer Studie sind sie so schädlich wie Kartoffeln“, erklärt Metzler. „Wir sind danach müde.“

Wie viel ist zu viel?

Anders bei Cyber-Mobbing. Für Betroffene kann es schmerzhaft sein, dass es online noch mehr Menschen mitbekommen als beim Mobbing im Klassenzimmer. „Wenn ein Kind in der Schule gemobbt wird, sollten allerdings die sozialen Wurzeln des Problems angepackt werden, statt nur die Social-Media-Nutzung einzuschränken“, rät Metzler. Auch die algorithmische Verstärkung psychischer Verwundbarkeit durch „addictive“, also süchtig machendes Design, sei noch nicht eindeutig bewiesen. „Wir wissen noch nicht, ob anfällige Menschen ohne den Algorithmus statt Social-Media vielleicht spiel- oder pornosüchtig wären.“

Generell kommt es immer darauf an, wie sich Menschen in sozialen Netzwerken verhalten. Das Finden von Freunden oder Halten von Freundschaften stärkt die mentale Gesundheit. Auch für spezielle Gruppen, zum Beispiel queere Menschen in der Provinz, sind soziale Medien ein großer Gewinn, weil gemeinschaftsstiftender Raum dadurch zur Verfügung steht. Wer hingegen selbst nicht aktiv ist, sondern nur stundenlang durch TikTok-Videos scrollt, tut seiner Stimmung keinen Gefallen. „Aber wo die Grenze zu schädlichem Konsum liegt, müssen wir erst herausfinden“, erklärt Metzler.

Mental Health als Ware

Unbestritten sind Instagram & Co. jedoch der neue Marktplatz für Eitelkeiten. Junge Menschen vergleichen hier Aussehen, Körpergewicht und Lifestyle. „Das kann in einer besonders sensiblen Phase wie der Pubertät natürlich sehr schmerzhaft sein“, erklärt Metzler.

Soziale Netzwerke machen auch immer häufiger Psychiater*innen und Psychotherapeut*innen Konkurrenz. Zwar tragen sie zur Enttabuisierung von Mental-Health-Problemen bei, fördern dabei aber auch die Pathologisierung. Emotionale Zustände, die im Bereich normaler Aufs und Abs liegen, werden aufgrund von Likes, Shares und Kommentaren zunehmend krankhaft gedeutet oder sogar verherrlicht. Plötzlich diagnostizieren sich immer mehr Nutzer*innen selbst in Richtung Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) oder posttraumatischer Belastungen. Weil Influencer*innen mit der Bewerbung von Therapien Geld verdienen, wird Mental Health zunehmend zur Ware. „Früher wusste niemand, was ADHS ist. Heute glauben es viele zu haben“, so Metzler.

Aufklärung statt Verbot

Klarheit herrscht hingegen darüber, dass Soziale Netzwerke die Debatte und das Bewusstsein in punkto mentale Gesundheit verändern. Ob positiv oder negativ, werden weitere Studien zeigen. Die Kognitionspsychologin rät jedoch nicht zu Social-Media-Verboten, sondern zu Aufklärung – Verbote würden einzelnen Gruppen schaden. „Schule, Eltern und Gesellschaft müssen dringend über mögliche Folgen von Social-Media-Nutzung reden, vor allem für Junge.“

Fotos: Titelbild (c) Freepik; Portrait: Hannah Metzler (c) Viviane Ruschak

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