Birgit Meinhard-Schiebel (c) Katrin Schützenauer;
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Mehr Fokus auf pflegende Angehörige

Gesundheitspolitik
Versorgung

Fast eine Million Menschen pflegen in Österreich Angehörige daheim. Birgit Meinhard-Schiebel von der Interessengemeinschaft pflegender Angehöriger fordert Reformen beim Pflegegeld.

Text: Birgit Weilguni

Nach dem nationalen Aktionstag für pflegende Angehörige in Österreich am 13. September macht auf internationaler Ebene der Europäische Tag der pflegenden Angehörigen (European Carers Day) auf dieses wichtige Thema aufmerksam. Die Interessengemeinschaft pflegender Angehöriger wurde 2009 gegründet, um die Interessen pflegender Angehöriger und Zugehöriger zu vertreten und damit auch das öffentliche Bewusstsein für sie und ihre Tätigkeiten zu stärken.

„Wir widmen uns jedes Jahr einem speziellen Thema, um die spezifischen Anliegen pflegender Angehöriger und Zugehöriger ausführlich ein Jahr hindurch sichtbar zu machen“, sagt Birgit Meinhard-Schiebel, Präsidentin der Interessengemeinschaft pflegender Angehöriger: „Das Jahr 2026 wird folgendem Schwerpunkt gewidmet: ‚Wenn die Welt aus den Fugen gerät – Unterstützung pflegender Angehöriger und Zugehöriger im Katastrophen- und Krisenmanagement‘.“

Das Problem geht weit über die reine Pflegetätigkeit hinaus: „Pflegende Angehörige stehen vor der Herausforderung, unter großer psychischer Belastung zu stehen, da viele pflegebedürftige Menschen über Jahre daheim gepflegt werden. Sie stehen aber auch unter existenzieller Belastung, die sich durch den Aufwand der häuslichen Pflege ergibt und häufig die eigene Erwerbstätigkeit einschränkt. Für ältere pflegende Angehörige bedeutet es, mit dem eigenen Älterwerden auch die Belastungen weiter auf sich zu nehmen“, fasst Meinhard-Schiebel zusammen.

Entscheidende Unterstützung müsse daher vonseiten der Politik kommen. „Wir erwarten als Interessengemeinschaft pflegender Angehöriger von der Politik, dass die wichtige Unterstützung durch das Pflegegeld in vielen Bereichen reformiert wird, um den heutigen Gegebenheiten der Langzeitpflege in all ihrer Unterschiedlichkeit der Erkrankungen gerecht zu werden,“ erwartet die Präsidentin Reformen.

Das Pflegegeld sei eine besonders wichtige Ergänzungsleistung. „Die Pflegegeldbegutachtung wird jedoch nicht ausschließlich nach den gesetzlich vorgeschriebenen Kriterien ausgeübt“, kritisiert Meinhard-Schiebel. „Im Mittelpunkt der Begutachtung muss stehen, dass die Funktionseinschränkungen das Kriterium der Beurteilung sind. Auch die jetzt gültigen Funktionseinschränkungen, die im Pflegegeldgesetz verankert sind, müssen den heutigen Gegebenheiten angepasst werden, ebenso wie die Zeitwerte für die einzelnen Funktionseinschränkungen. Allein durch die Erkenntnisse nach der Pandemie zeigt sich, dass neue langfristige Erkrankungsbilder und Pflegebedürftigkeiten auftreten, die eine andere Beurteilung brauchen. Es darf nicht das oberste Ziel der Pflegegeldeinstufung sein, möglichst die niedrigste Pflegegeldstufe zuzusprechen. Die Pflegegeldbegutachtung darf nun auch von Pflegekräften erfolgen, die aufgrund ihrer Professionalität den Bedarf bei Funktionseinschränkungen anders einschätzen können als Ärztinnen und Ärzte, die eine medizinische Diagnose erstellen.“

Erste Stiftung (c) APA-Fotoservice-Tanzer

Um möglichst viele Menschen zu erreichen, die Angehörigenpflege leisten, braucht es sowohl auf internationaler als auch nationaler Ebene spezielle Tage, die ihre Leistung der Öffentlichkeit zeigen und sie damit stärken.

Birgit Meinhard-Schiebel

Präsidentin der Interessengemeinschaft pflegender Angehöriger

Auch seitens der Öffentlichkeit wäre mehr Wertschätzung das Ziel. Die Öffentlichkeit nehme pflegende Angehörige kaum wahr, weil sie selbst sich auch oft nicht in der Öffentlichkeit so deklarieren, so die Expertin. „Es ist eher umgekehrt so, dass die Öffentlichkeit Informationen darüber braucht, was pflegende Angehörige an Informationen und Unterstützung brauchen, damit das Thema ‚Unterstützungsangebote für pflegende Angehörige‘ für eine breite Öffentlichkeit sichtbar wird.“

In Sachen Aus- und Weiterbildung gibt es von einigen Trägerorganisationen Schulungsangebote, ebenso durch verschiedene Apps, etwa die App Young Carers des Sozialministeriums. „Aus der 15 Jahre Erfahrung unserer Tätigkeit zeigt sich, dass Präsenzveranstaltungen eher im ländlichen Raum Zuspruch finden, allerdings nur, wenn die pflegenden Angehörigen auch die notwendige Zeit dafür aufbringen können. Mittlerweile sollten sich Bildungsangebote jeweils den speziellen Themen wie Demenz, ME/CFS/Post-Covid und der Bandbreite der Langzeiterkrankungen bedienen, denn sehr allgemeines To-do-Wissen wird teilweise von mobilen Diensten in der häuslichen Pflege vermittelt oder kann auch über das Sozialministerium durch Hausbesuche angefordert werden. Allgemein lässt sich feststellen, dass sich viele pflegende Angehörige durch das Internet unterstützen lassen, wenn sie spezielle Fragen haben.“

Besonders wichtig ist die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf, da rund 30 bis 35 Prozent der pflegenden Angehörigen erwerbstätig sind. „Wir arbeiten deshalb mit Firmen und sozialen Einrichtungen, auch mit Gewerkschaftsvertreter*innen, dem ABZ Austria etc. zusammen, um verbesserte Bedingungen für die Pflegekarenz zu erreichen, die nur teilweise mit einem Rechtsanspruch ausgestattet ist. Vorrangig ist zu verhindern, dass Pflegende aufgrund der Übernahme der häuslichen Pflege nicht gänzlich aus dem Erwerbsleben ausscheiden, ohne sich danach pensions- und krankenversichern zu lassen, wofür der Bund die Kosten übernimmt“, sagt Meinhard-Schiebel.

Die Präsidentin plädiert für mehr Verständnis auf breiter Basis: „Die fast eine Million pflegende Angehörige in Österreich sind ein so wichtiger Teil unserer Gesellschaft. Ich wünsche mir, dass sie nicht nur lobend erwähnt werden, sondern in wichtigen Gremien, etwa zur Pflegegeldreform, zu Rechten der pflegenden Angehörigen und Zugehörigen, Mitspracherecht haben. Wir haben deshalb einen Forderungskatalog an die Politik entwickelt, der aus den Anliegen, die an uns als Interessengemeinschaft pflegender Angehöriger herangetragen werden, besteht und zu einer Forderung formuliert wird.“

Interessengemeinschaft pflegender Angehöriger

Die Interessengemeinschaft pflegender Angehöriger will vor allem folgende Ziele erreichen:

  • Verbesserung der Lebenssituation pflegender Angehöriger

  • Öffentliche Bewusstseinsbildung zur gesellschaftlichen Relevanz und zu Belastungen und Herausforderungen pflegender Angehöriger

  • Höhere Wertschätzung und Anerkennung der Pflege- und Betreuungsleistungen von Angehörigen

  • Identifizierung von Versorgungslücken und Eintreten für Verbesserungen

  • Etablierung von pflegenden Angehörigen als politisch relevante Gruppe

www.ig-pflege.at
Forderungskatalog: www.ig-pflege.at/ueber_uns/aktuelle_forderungen.pfp

Fotos: Titelbild © Katrin Schützenauer; Expertinnenbild: Erste Stiftung © APA-Fotoservice-Tanzer

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