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Mehr Patient*innensicherheit für Neugeborene und Kinder

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Der 17. September ist Welttag der Patient*innensicherheit. Die Wiener Pädiatrie-Professorin Angelika Berger erklärt, wo es bei der Sicherheit von Neugeborenen und Kindern in Österreich Nachholbedarf gibt.

Text: Birgit Weilguni

Am 17. September ist Welttag der Patient*innensicherheit. Die globale WHO-Kampagne stellt unter dem Motto „Safe care for every newborn and every child” die Sicherheit der Jüngsten ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Österreich kann in der Pädiatrie durchaus Gutpunkte verzeichnen. Seit 2019 gibt es kinderspezifische Reha-Zentren, es wurden kindgerechte Strukturen und Prozesse und die Frühe-Hilfen-Netzwerke gestärkt. „Wir haben in Österreich ein sehr gutes Neugeborenen-Screening auf angeborene Erkrankungen, etabliert seit den 1960-ern und laufend erweitert“, sagt Univ.-Prof.in Dr.in Angelika Berger, MBA, Leiterin der Abteilung für Neonatologie, Pädiatrische Intensivmedizin und Neuropädiatrie der Universitätskinderklinik Wien und Vorstandsmitglied der Plattform Patient*innensicherheit. „Aktuell werden bei einer Geburtenrate von rund 80.000 Babys pro Jahr etwa 150 Kinder rasch diagnostiziert und einer Behandlung zugeführt. Seit 2021 gibt es zusätzlich ein Spinale-Muskelatrophie-Screening und ein Screening schwerer kombinierter Immundefekte (SCID) mit belegtem Nutzen durch frühe Therapie. Das ist eines der ausführlichsten und umfassendsten Neugeborenen-Screening-Programme weltweit.“ Seit 2014 sei das Pulsoxymetrie-Screening aller Neugeborenen empfohlen und etabliert – es senkt die Rate an „übersehenen“, spät diagnostizierten kritischen Herzfehlern. Das kostenfreie Kinderimpfprogramm, das seit 2024/25 auch eine generelle RSV-Prophylaxe für Neugeborene und Säuglinge im ersten Lebensjahr beinhaltet, die mittlerweile österreichweit verbreiteten Frühen Hilfen, eine niederschwellige Unterstützung durch multiprofessionelle Netzwerke, und die Zentralisierung der Versorgung von Risikogeburten sind ebenfalls als Erfolge in der Pädiatrie.

Der Eltern-Kind-Pass – früher Mutter-Kind-Pass – gilt als Erfolgsmodell mit starken Leistungen, aber durchaus weiterem Potenzial. Zur Nachschärfung wünscht sich Berger die öffentliche Finanzierung des Ersttrimester-Screenings sowie des Organ-Screenings in der Schwangerschaft als eine zentrale Maßnahme zur Erhöhung der Patientensicherheit von Mutter und Kind. „Durch die frühzeitige Erkennung von Fehlbildungen und Risikokonstellationen können Schwangerschafts- und Geburtsverläufe optimal geplant, die Versorgung in spezialisierten Zentren gesichert und gesundheitliche Ungleichheiten vermieden werden,“ so Berger. Noch nicht in Österreich etabliert ist ein universelles Screening konnataler Cytomegalievirus-Infektionen zur Verhinderung von Hörstörungen und entwicklungsneurologischen Auffälligkeiten.

Psychiatrie, Personal und Impflücken

Sicherheitslücken gibt es dennoch, vor allem Engpässe in der Kinder- und Jugendpsychiatrie, Pflegepersonalmangel, Versorgungsdruck durch nicht besetzte Kinderfacharztstellen im niedergelassenen Bereich und Impflücken, insbesondere bei Masern/Mumps/Röteln, wie Angelika Berger zusammenfasst.

In der psychiatrischen Versorgung braucht es einen Ausbau der Kapazitäten und verbindliche Wartezeitziele. Übergänge zwischen pädiatrischer und Erwachsenenpsychiatrie müssen besser gemanagt werden – ebenso wie die Prävention in der Schule und der Community. Berger plädiert für eine Workforce-Strategie, „eine Ausbildungsoffensive, Supervision und Multiprofessionalität in Psychotherapie, Sozialarbeit, Ergotherapie etc. Denn Wartezeiten-Daten aus Österreich belegen den Bedarf.“

Personalengpässe spielen zudem eine Rolle, wenn es darum geht, Standards aufrechtzuerhalten. „Der Pflege- und Fachärztmangel korreliert mit Wartezeiten, gesperrten Betten und erhöhtem Risiko vermeidbarer Ereignisse. Nationale Analysen warnen vor Abwanderung und hoher Wechselabsicht. Gegenmaßnahmen sind daher zentral für die Patient*innensicherheit“, sagt Berger.

Angelika Berger (c) MedUni Wien - Feelimage

Sicherheit braucht kontinuierliches Monitoring, Feedback und schnelle Gegenmaßnahmen – sonst werden Trends zu spät erkannt.

Univ.-Prof.in Dr.in Angelika Berger, MBA

Leiterin der Abteilung für Neonatologie, Pädiatrische Intensivmedizin und Neuropädiatrie der Universitätskinderklinik Wien

„Standards und Tools zur Erhöhung der Patient*innensicherheit im niedergelassenen und stationären Bereich sollten regelmäßige verpflichtende Simulationstrainings und Skillstrainings für alle gesundheitsrelevanten Berufsgruppen umfassen, außerdem zum Beispiel Medikationssicherheits-Checks, die Nutzung pädiatrischer Early-Warning-Systeme (PEWS) oder Sepsis-Bundles im ambulanten und stationären Bereich“, nennt Berger Pläne für die Zukunft. Außerdem gelte es, MMR-Impflücken zu schließen, etwa über aktive Recall- und Reminder-Systeme via e-Impfpass, kinderärztliche und kommunale Impfaktionen sowie Abend- und Wochenendtermine. Zielquote sei mindestens 95 Prozent zwei Dosen MMR bei den unter Zweijährigen. 2024 gab es 542 Masernfälle in Österreich, eine der höchsten relativen Zahlen in Europa.

„Im Bereich der Personal- und Arbeitsbedingungen brauchen wir eine Verstärkung der Pflegeausbildung, bessere Personalbindungsprogramme und eine verbesserte Vereinbarkeit von Beruf und Familie“, ergänzt Berger. „Angesichts begrenzter stationärer Ressourcen und bestehender Personalknappheit ist der Ausbau telemedizinischer Angebote außerdem ein entscheidender Beitrag zur Patient*innensicherheit – insbesondere für die Sicherstellung spezialisierter Expertenservices.“

An der Schnittstelle zwischen Kinderschutz und Kommunikation brauche es eine weitere Stärkung der Kinderschutzgruppen (ÖGKiM) sowie niederschwellige Eltern-Infos in leichter Sprache und mehrsprachig.

Mehr Information und Sensibilisierung

Stakeholder können auf die Problematik aufmerksam gemacht werden, indem Kennzahlen wie die MMR-2-Quote, die Zeit bis zur Antibiotikagabe bei Sepsis, 72h-Wiederaufnahmen, Medikationsfehler oder KJP-Wartezeiten offengelegt werden. „Die Patient*Innensicherheitsstrategie 3.0 sollte konkret mit neonatologischen und pädiatrischen Zielen hinterlegt werden, Jahresberichte und Austrian Patient Safety Awards sollen genutzt werden, um Best Practice sichtbar zu machen. Und CIRS, kritische Ereignisse, müssen aktiv genutzt werden, um Lernschleifen zu schließen“, plädiert Berger.

Für die Zukunft fordert Berger einen eigenen Fokus auf Pädiatrie und Neonatologie in der Patient*innensicherheitsstrategie 3.0, inklusive einer Finanzierung für Trainings, Qualitätsregister und Public Reporting. „In der Versorgungsforschung ist eine „prospektive Geburtskohortenstudie (ViNG – Vienna Next Generation Study) im Rahmen des Vienna Prevention Project der MedUniWien mit Unterstützung der Stadt Wien geplant. Sie umfasst den prospektiven Einschluss von 4.000 Schwangeren, Untersuchung von Risikofaktoren und frühen Interventionen im Kindesalter in Hinblick auf physische und psychische Gesundheit sowie Lebenszufriedenheit von Kindern und Jugendlichen in Wien“, berichtet Berger.

Auch wenn die medizinischen Standards in Österreich hoch sind, besteht das Risiko nachlässig zu werden, denn „es geht uns gut“. Symptome der Nachlässigkeit seien etwa die sinkenden MMR-Raten. „Sicherheit braucht kontinuierliches Monitoring, Feedback und schnelle Gegenmaßnahmen – sonst werden Trends zu spät erkannt“, warnt Berger. Der Tag der Patient*innensicherheit diene als jährlicher Anker für Kampagnen.

Fotos: Titelbild © Freepik; Expertinnenbild © AKH MedUni Wien/Feelimage

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