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Gesundheit
Österreich
25.06.2024

Second Victim: Hilfe nach kritischen Ereignissen

Arbeit an und mit Patient*innen belastet. Gefährlich wird es dann, wenn die Grenzen des Leistbaren überschritten werden oder kritische Ereignisse im Behandlungszusammenhang Helfende traumatisieren. Der Verein „Second Victim“ hilft Menschen in Gesundheitsberufen in herausfordernden Situationen.

Medizinische Behandlungen können mit erheblichen Risiken verbunden sein – nicht nur für Patient*innen, sondern auch für die Angehörigen von Gesundheitsberufen. Das beginnt bei Nadelstichverletzungen, geht weiter mit einem Übermaß an Arbeit, und reicht bis zu unvorhergesehenen Ereignissen und Behandlungsfehlern. Alles Dinge, die nicht nur Patient*innen schaden, sondern auch bei medizinischen Fachkräften Stress und Traumata verursachen können.

Wer aber unterstützt die Helfenden in herausfordernden und kritischen Situationen? In Österreich hat sich eine Gruppe Engagierter zusammengefunden. Unter dem Namen „Second Victim – Mensch bleiben – kein Opfer werden. Verein zur Unterstützung von insbesondere medizinischem Personal nach kritischen Ereignissen“ gibt es Rat und Hilfe. Zweimal in der Woche ist das Krisentelefon +43 720 704344 besetzt: Montag von 9 bis 11 Uhr und Donnerstag von 17:00 bis 19:00 Uhr. Kontakt zu den erfahrenen Spezialist*innen von „Second Victim“ ist auch per E-Mail möglich: . Die Aufforderung „Schreib‘s Dir von der Seele!“ soll helfen, den Schritt von der Traumatisierung oder potenziellen Depression zur Aktion zu gehen.

89 Prozent der Pädiater*innen waren mit einem traumatisierenden Erlebnis konfrontiert

Der Verein untersucht aber auch, welche Grenzerfahrungen die Arbeit an Patient*innen ganz allgemein mit sich bringt. Er verschickte an 2.100 Kinderärzt*innen einen Fragebogen. Sie sollten beschreiben, ob sie sich selbst schon einmal in einer so belastenden Situation befunden haben, dass sie diese nicht einfach wegstecken und von sich abschütteln konnten. Die Rücklaufquote lag bei 20 Prozent:

  • 89 Prozent gaben an, zumindest einmal im Berufsleben mit einem traumatisierten Erlebnis konfrontiert gewesen zu sein – zwei Drittel von ihnen sogar mehrfach.
  • Sehr häufig genannt wurden aggressive Patient*innen oder Angehörige.
  • Unerwartete Todesfälle wurden ebenfalls als schwer belastende Ereignisse erlebt.
  • Im niedergelassenen Bereich zu arbeiten stellt ein erhöhtes Risiko dar, vom „Second Victim“-Phänomen betroffen zu sein.

„Second Victim entlastet, sowie unterstützt das gesamte Gesundheitswesen in Form von Fortbildungen, Awareness- und Öffentlichkeitsarbeit und stellt konkrete Hilfsangebote kostenfrei, arbeitgeberunabhängig, anonym für Betroffene zur Verfügung, um Post Traumatic Stress Disorder, Schlafstörungen, Depressionen, Burn-Out und letztlich den Berufsausstieg präventiv zu verhindern.“ 

Auch auf die Frage, wo sich Betroffene seelische Unterstützung holen, gibt die Untersuchung Antwort. Es sind in erster Linie ärztliche Kolleg*innen, die eigene Familie und Freund*innen. Von der Krankenhausführung haben nur 4,5 Prozent der Betroffenen Hilfe erhalten. Hier will der Verein „Second Victim“ ansetzen. Präsidentin Dr. Eva Potura: „Wir brauchen psychosoziale Unterstützungsstrukturen für medizinisches Personal, denn es geht uns alle an. Sind wir selbst krank, können wir kranke Menschen nicht adäquat versorgen.“

Der Verein will sich mit seinem Angebot nicht nur für einzelne „Second Victims“ einsetzen. Er will auch grundsätzliche Veränderungen angehen. Eine Forderung ist, dass Traumatisierung durch ein belastendes Ereignis am Arbeitsplatz als Arbeitsunfall oder Berufskrankheit gewertet wird – wie das in Deutschland etwa bereits der Fall ist.

Aktuell läuft eine Studie des Vereins unter Notfallsanitäter*innen. Bereits abgeschlossen sind Befragungen von Pflegekräften und Hebammen. Die Ergebnisse werden in einigen Monaten der Öffentlichkeit präsentiert.

Information und Kontakt: www.secondvictim.at

Text: Josef Broukal

Foto: Dr. Eva Potura/© Second Victim

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