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Gesundheit
Österreich
29.06.2023

Gesundheitswesen braucht Digitalisierung, Herz und Geld

Die Situation im österreichischen Gesundheitssystem ist angespannt. Fachkräftemangel, Überlastung, Frust beim medizinischen Personal und bei Patient*innen. Digitale Lösungen für das Gesundheitswesen seien daher nun wichtiger denn je, erklärt Markus Wieser, Präsident der Arbeiterkammer Niederösterreich. 

Es verwundert wohl nur im ersten Moment, wenn sich ein hochrangiger Interessensvertreter der Arbeitnehmer*innen zur aktuellen Krise im heimischen Gesundheitswesen zu Wort meldet. Denn schon lange weisen Verantwortliche in Medizin- und Pflegeberufen auf die prekäre Personalsituation hin. Markus Wieser, Präsident der niederösterreichischen Arbeiterkammer (AK), wird bei dem Thema daher auch schnell konkret: „Ein nicht unerheblicher Teil der – ohnedies schon knappen – Personalstunden wird mit bürokratischen Aufgaben blockiert und fehlt in der Patient*innenversorgung“, so der Gewerkschafter. Mitarbeiter*innen von Mobilen Diensten wie jene der Volkshilfe oder des Hilfswerks seien ebenfalls betroffen: „Sie müssen für vergleichsweise simple Verrichtungen wie Blutdruckmessungen oder Zuckermessungen dutzende Kilometer zu ihren Klient*innen fahren“.

50 Prozent Bürokratie

Die heimischen Ärzt*innen können von überbordender Bürokratie und damit einhergehend von zu wenig Zeit für die Betreuung und Versorgung von Patient*innen ein Lied singen. So erklärte erst im Mai 2023 Michael Sacherer, Leiter des Referats für Jungmedizinerinnen und Jungmediziner der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK), in einer Aussendung: „Die Jungen sind höchst motiviert, das zu tun, wofür sie ausgebildet wurden … Aber das wollen sie nur tun, wenn man ihnen dafür ausreichend Zeit gibt und sie nicht mit bürokratischen Tätigkeiten oder anderen Hürden daran hindert.“

Jungmediziner-Referentin Cornelia Sitter, selbst Turnusärztin in Steyr, ergänzte: „Die meisten klagen über zu viel Bürokratie und Dokumentation, vernehmen wir besonders bei Ärztinnen und Ärzten in Ausbildung – dort macht das sogar knapp 50 Prozent der Arbeitszeit aus. Wenn wir es schaffen, das zu ändern, wäre dies schon ein ganz wichtiger Schritt zu einer deutlichen Attraktivierung des Arztberufs.“ Dazu komme, dass Dienste aufgrund fehlender Personalressourcen kaum planbar seien, insbesondere nachts oder an den Wochenenden.

Innovative Digitallösungen

Dem Vorhaben, den administrativen Aufwand von medizinischem Fachpersonal  zu reduzieren, widmen sich aktuell die globalen Key-Player am Tech- und IT-Sektor: Mittels automatisierter Dokumentation, basierend auf Künstlicher Intelligenz (siehe dazu https://www.ingo-news.at/forschung/automatisierte-dokumentation.html), soll Bürokratie reduziert und das Zeitbudget für Arbeit mit Patient*innen deutlich erhöht werden. Generell ist Künstliche Intelligenz aus der Medizin nicht mehr wegzudenken (Details: https://www.ingo-news.at/forschung/ki-in-der-medizin.html).

"Was könnten digitale Lösungen von den Problem lösen?", fragt sich AK-NÖ-Präsident Markus Wieser.

Auch für Markus Wieser sind digitale Lösungen – neben Menschen mit entsprechender Qualifikation und Ausbildung sowie ausreichender Finanzierung – unerlässlich, um die Gesundheitsversorgung in Österreich sicherzustellen. „Wir haben zu wenig qualifiziertes Personal, überfüllte medizinische Einrichtungen, kaum Daten über Risikogruppen, Medikamentenengpässe und einen ewigen Streit um die Finanzierung des Gesundheitssystems.“ In Österreich sei man noch sehr skeptisch, was den sinnvollen Einsatz von Technologie betrifft. Man müsse sich jedoch fragen, welche Probleme IT mildern oder sogar lösen könnte, so Wieser, der gleich selbst ein Beispiel nennt: „Notwendig und rasch umzusetzen wäre die IT-gestützte Beobachtung und Information über Lieferengpässe an die Kassenvertragsärzt*innen, um die Verschreibung tatsächlich verfügbarer Medikamente an die Patient*innen sicherzustellen.“ 

Herz & Investionen

Der dreidimensionale Druck von Medikamenten hätte zudem laut dem niederösterreichischen AK-Präsidenten das Potenzial, die pharmazeutische Industrie zu revolutionieren. „Ziel ist die maßgeschneiderte Herstellung von Therapeutika, auch im kleinen Maßstab. 3D-Drucktechnologien könnten die Produktion von Produkten mit personalisierten Dosierungen und Wirkstoffkombinationen ermöglichen, die mit bestehenden herkömmlichen Herstellungstechnologien nicht machbar sind. Diese Technologie könnte dadurch auch den Einsatz von wertvollen Rohstoffen und anderen Ressourcen sparen.“ Bezüglich Arbeitnehmer*innenschutzes wiederum „wäre bei Routinetätigkeiten im Gesundheitsbereich der Einsatz von neuen Technologien, insbesondere auch der Robotik, zum Schutz von Mitarbeiter*innen sinnvoll.“

In jedem Fall müsse beim Einsatz von digitalen Lösungen funktionale Redundanz sichergestellt werden, betont Markus Wieser. „Das bedeutet, hinter jeder tollen Maschine oder Software muss ein*e Expert*in stehen, die weiß, was im Falle einer Störung zu tun ist. Menschen sind – glücklicherweise – keine Maschinen.“ Wenn alle Stricke reißen, brauche es eben Menschen, die einander helfen, so der Präsident, und diese „brauchen nicht bloß ein Herz, sondern auch, und vor allem, eine exzellente Ausbildung, attraktive Arbeitsbedingungen und vor allem soziale Anerkennung. Beides wird Geld kosten, ist aber letztlich eine gute Investition in die Gesundheitsversorgung von uns allen.“

Text: Michi Reichelt; Fotos: AK Niederoesterreich, Georges Schneider / Lisi Specht, AK

Markus Wieser,

Präsident der AK Niederösterreich, Vizepräsident der Bundesarbeiterkammer

1965 in Waidhofen an der Ybbs geboren, wuchs Markus Wieser im Mostviertel auf, wo er auch die Lehre als Betriebselektriker absolvierte. Mit 16 wurde er Landesjugendvorsitzender in der Gewerkschaft Metall-Bergbau-Energie, nach Abschluss der Sozialakademie im Jahr 1988 deren Zentraljugendsekretär. Von 2005 bis 2013 fungierte er als Vizepräsident der Arbeiterkammer Niederösterreich, bevor er zum Präsidenten gewählt wurde. Seit 2013 ist Wieser auch Vorsitzender des ÖGB Niederösterreich, seit 2019 Vizepräsident der Bundesarbeitskammer. Der Vater dreier Töchter lebt in Bad Vöslau.

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