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Gesundheit
Österreich
20.06.2023

„Pflegelehre widerspricht nicht der Akademisierung der Pflege!“

Wer darf künftig Pflegelehrlinge ausbilden? Welche Inhalte werden vermittelt? Was ändert sich durch die neue Ausbildung für  bestehende Pflegeberufe? Und was heißt das alles für die Qualität der Pflege? INGO hat im Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz nachgefragt – hier die Antworten:

Die Bundesregierung hat nun die sogenannte Pflegelehre auf den Weg gebracht. Wie sieht der Fahrplan für die Umsetzung aus?

Die für den Start der Pflegelehre notwendigen rechtlichen Grundlagen sollen bis zum Sommer in Kraft treten. Damit stellen wir sicher, dass die ersten Lehrlinge rechtzeitig zum neuen Lehrjahr mit der Ausbildung starten können. Die Pflegelehre soll ab Herbst 2023 als Ausbildungsversuch möglich sein und sechs Jahre nach Einführung von einer wissenschaftlichen Einrichtung extern evaluiert werden. Lehrlinge können sich für die Lehre zur Pflegefachassistenz (vierjährige Lehre) oder für die Lehre zur Pflegeassistenz (dreijährige Lehre) entscheiden.

Was sind die zentralen Argumente, die für dieses neue Ausbildungsmodell sprechen?

Viele Jugendliche möchten bereits nach der Pflichtschule über die Lehre an einen Beruf herangeführt werden. Wenn sich Menschen bereits in jungen Jahren für einen Pflegeberuf interessieren, ist es wichtig, dass wir ihnen mit der Pflegelehre rechtzeitig eine fundierte Ausbildung anbieten können, bevor wir sie an andere Berufszweige verlieren.

Mit vielen Pflegelehrlingen jährlich ist österreichweit zu rechnen?

An den Ausbildungsverordnungen und Lehrplänen wird parallel seitens des Bundesministeriums für Arbeit und Wirtschaft, des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz wie auch des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung gearbeitet, damit die ersten Lehrlinge im Herbst 2023 ihre Ausbildung beginnen können. Ausbildungen wird es ab Herbst voraussichtlich in Vorarlberg, Oberösterreich und Niederösterreich geben.

Wo wird die theoretische beziehungsweise praktische Ausbildung erfolgen? 

Die Ausbildung in den Pflegeassistenzberufen im Rahmen der bestehenden Bildungsmöglichkeiten wird um die berufspraktische Ausbildungsform der Lehre mit den Lernorten Betrieb (Pflegeeinrichtungen) und Berufsschule ergänzt. Interessierte junge Menschen sollen die Qualifikationen zukünftig auch unmittelbar in den Pflegeinrichtungen nach aktuellen Qualitätsstandards erlernen können. Betrieb und Berufsschule ergänzen einander und vermitteln aufeinander abgestimmte Ausbildungsinhalte. Nach dem Lehrabschluss bietet die Lehre den neuen Fachkräften einen unmittelbaren Berufseinstieg in den ausbildenden Betrieben. Lehrlinge erhalten von Anfang an ein Lehrlingseinkommen.

"Einrichtungen, die sich als Lehrbetrieb etablieren wollen, müssen ein Verfahren durchlaufen."

Welche Voraussetzungen müssen Lehrbetriebe erfüllen?

Einrichtungen, die sich als Lehrbetrieb etablieren wollen, müssen ein Verfahren durchlaufen. Im Rahmen dieses Verfahrens wird von einer Kommission festgestellt, ob sich ein Unternehmen als Lehrbetrieb eignet und sämtliche Voraussetzungen für eine qualitativ hochwertige Ausbildung in einem Pflegeassistenzberuf erfüllt. Dies wird per Bescheid festgestellt. Nach unserem Kenntnisstand gibt es bereits in allen Bundesländern Einrichtungen, die Interesse an der Lehrlingsausbildung zeigen.

Sind Berufsschulen dafür gerüstet beziehungsweise. geeignet?

Berufsschulen vermitteln während der Ausbildung in einem Lehrberuf die grundlegenden theoretischen, vor allem medizinisch-pflegerischen, Kenntnisse. Ausbildungsbetriebe und Berufsschulen werden einander ergänzen und vermitteln aufeinander abgestimmte Ausbildungsinhalte.  

Bedeutet die praktische Ausbildung der Lehrlinge in Krankenanstalten und Pflegeheimen nicht eine zusätzliche Belastung für das dort tätige Fachpersonal beziehungsweise die ohnehin knappen Ressourcen? 

Selbstverständlich bedarf es in den Lehrbetrieben einer besonderen Personalausstattung, um eine Lehrausbildung qualitätsgesichert anbieten zu können. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass in den ersten zwei Ausbildungsjahren der Schwerpunkt im sozial-kommunikativen Bereich liegt. Die Jugendlichen lernen in dieser Zeit insbesondere die Tagesstruktur zu gestalten, den zu betreuenden Personen Beschäftigung anzubieten und Gespräche zu führen. Lehrlinge können damit nicht zuletzt einen wichtigen Beitrag zur Lebensqualität bei zu pflegenden Personen leisten. 

Ist eine vier- bzw. dreijährige Ausbildung attraktiv, wenn die gleichen Qualifikationen (Pflegefachassistenz bzw. Pflegeassistenz) laut bisherigem Modell auch in zwei Jahren beziehungsweise einem Jahr erreicht werden können?

In Betreuung und Pflege gibt es eine Vielfalt an Ausbildungen, sodass jede und jeder sehr individuell den richtigen Berufseinstieg und auch den richtigen Schwerpunkt wählen kann. Mit der Pflegelehre bieten wir Jugendlichen nun eine zusätzliche Möglichkeit. Sie können bereits nach der Pflichtschule an einen Beruf im Pflegebereich herangeführt werden. Es ist davon auszugehen, dass mit der Lehrlingsausbildung neue Zielgruppen erreicht werden können, welche die bisherigen Ausbildungsmöglichkeiten nicht wahrnehmen würden.

"Selbstverständlich werden die bisherigen Ausbildungsformen für die Pflegeassistenzberufe an Gesundheits- und Krankenpflegeschulen sowie PA-Lehrgängen weiterhin bestehen."

Wird es diese kürzeren Ausbildungen auch weiterhin geben?

Selbstverständlich werden die bisherigen Ausbildungsformen für die Pflegeassistenzberufe an Gesundheits- und Krankenpflegeschulen sowie PA-Lehrgängen weiterhin bestehen. Nach drei Jahren Lehrzeit erhalten die Jugendlichen einen Abschluss als Pflegeassistent*in, nach einer verlängerten Lehre von vier Jahren einen Abschluss als Pflegefachassistent*in. Das ist derselbe Abschluss, den Gesundheits- und Krankenpflegeschulen anbieten. Die jungen Menschen sind damit genau die anerkannten Fachkräfte, die wir so dringend brauchen.

Ist der Einwand berechtigt, dass der frühzeitige Kontakt mit manchmal belastenden pflegerischen Situationen 15-/16-Jährige eher davon abschrecken könnte, einen Pflegeberuf zu ergreifen?

Wie bereits erwähnt spielt die Altersgrenze 17. Lebensjahr für die Gestaltung der Lehrlingsausbildung eine wichtige Rolle, um die Jugendlichen behutsam in den Pflegeberuf einzuführen und sie nicht zu überfordern. Dementsprechend wird ein besonderes Ausbildungsprogramm für die Lehrbetriebe geschaffen. Es wird also sehr darauf geachtet, dass Jugendliche nicht zu früh in Situationen mit schwer pflegebedürftigen Menschen kommen, die sie vielleicht überfordern würden.

Sind Befürchtungen von Pflege-Expert*innen zu möglichen Auswirkungen auf die Pflegequalität berechtigt?

Mit der Einführung der Pflegelehre wird lediglich ein weiterer Ausbildungsweg im Bereich Pflege und Betreuung geschaffen. Es sind dadurch keine Auswirkungen auf die hohe Pflegequalität, die die Menschen in Österreich erfahren, zu befürchten. Nach Abschluss der Pflegelehre haben die jungen Menschen die Qualifikation zur Pflegeassistenz beziehungsweise Pflegefachassistenz nach aktuellen Qualitätsstandards erlernen können.  

Steht die Pflegelehre nicht im Gegensatz zur Akademisierung und Professionalisierung der Pflege und zu den Bemühungen, die Pflege „auf Augenhöhe“ mit anderen Gesundheitsberufen zu bringen?

Bei der Pflegelehre handelt es sich um eine Ausbildungsmöglichkeit für Pflegeassistenzberufe in einem neuen Ausbildungssektor, der ebenfalls Durchlässigkeit bis zur tertiären Ausbildung ermöglicht. Ein Widerspruch zur Akademisierung der diplomierten Gesundheits- und Krankenpflege besteht in diesem Zusammenhang nicht.

Fragen: Josef Haslinger; Foto: www.depositphotos.com

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