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Gesundheit
Österreich
02.04.2024

„Psychologische Behandlung muss leistbar sein“

Expert*innen fordern bessere psychische Versorgung aller Menschen in Österreich. Dass der Kostenzuschuss beantragt werden muss und nicht mit der e-card direkt abgerechnet werden kann, mache Behandlungen für viele Menschen unleistbar.

Am 1. Jänner 2024 war es endlich soweit: Mit der Aufnahme als Pflichtleistung in das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz (ASVG) wurde die klinisch-psychologische Behandlung mit der ärztlichen Hilfe gleichgestellt – und damit auch zur Kassenleistung. Alle versicherten Menschen in Österreich haben nun einen Anspruch auf klinisch-psychologische Behandlungsleistungen inklusive Kostenzuschuss durch ihre Sozialversicherung.  Als „Meilenstein für die Psychologie und die Menschen in Österreich“ bezeichnete der Berufsverbandes Österreichischer PsychologInnen (BÖP) die „Sicherstellung und Verbesserung der Versorgung der österreichischen Bevölkerung im Hinblick auf psychische Störungen und psychosomatische und organische Erkrankungen für alle Altersgruppen.“

Allerdings gibt es auch nach diesem „Meilenstein“ noch recht viel Luft nach oben, was die Versorgung der psychischen Gesundheit der Österreicherinnen und Österreicher betrifft. Diese sei, so der BÖP, weiterhin unzureichend, da der Zugang zur nunmehrigen Kassenleistung für viele Menschen dennoch nicht leistbar ist. Aktuell muss für die Behandlung nämlich noch vorab selbst bezahlt und im Nachhinein ein Kostenzuschuss beantragt werden – ähnlich wie bei der Psychotherapie. Gerade armutsbetroffene Personen, die viel häufiger von psychischen Erkrankungen wie Depressionen betroffen sind, seien de facto von dem Angebot ausgeschlossen, weil sie keine finanziellen Vorleistungen erbringen können, sagt BÖP-Präsidentin Beate Wimmer-Puchinger. 

Abrechenbarkeit via e-card gefordert

Zusätzlich, so die BÖP-Kritik, gäbe es – anders als bei der Psychotherapie – noch keine vollfinanzierten Behandlungsplätze. Noch werde mit den Krankenkassen verhandelt, wie das Gesetz umgesetzt wird. Prinzipiell anrechenbar sind jedenfalls sowohl Einzel-, als auch Gruppensitzungen und bis zu zehn Einheiten insgesamt – wobei eine Verlängerung möglich ist. Damit klinisch-psychologische Behandlung verrechnet werden kann, muss der oder die Klinische Psycholog*in in der offiziellen Liste des Gesundheitsministeriums eingetragen sein; österreichweit befinden sich aktuell mehr als 11.500 Klinische Psycholog*innen in dieser Liste (siehe https://klinischepsychologie.ehealth.gv.at/).

"Klinisch-psychologische Behandlung darf niemanden ausschließen", sagt BÖP-Präsidentin Beate Wimmer-Puchinger.

Um die psychische Versorgung der österreichischen Bevölkerung zur Gänze zu sichern, forderte der BÖP eine direkte Abrechenbarkeit der Behandlungen mit der e-card. „Das sind wir den betroffenen Menschen in Österreich schuldig. Klinisch-psychologische Behandlung muss für alle leistbar sein und darf niemanden ausschließen“, erklärte Wimmer-Puchinger. 

„Wie eine Wohnung ohne Schlüssel“

An Behandlungen der psychischen Gesundheit auf e-card führe daher kein Weg vorbei, so das Fazit der Präsidentin des Bundesverbands Österreichischer PsychologInnen, laut dem jede zweite Person in Österreich im Laufe ihres Lebens eine psychische Erkrankung erlebe. Die Bereitschaft, sich professionelle Hilfe zu holen, sei zwar hoch, jedoch könnten sich mindestens 65 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher die selbstfinanzierte Behandlung nicht leisten.

Bereits im vergangenen Jänner hatte der BÖP in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Caritas, Diakonie, dem Hilfswerk, der Krebshilfe, der Armutskonferenz und der Volkshilfe daher einen „Lückenschluss“ in der Versorgung gefordert, um „flächendeckende, niederschwellige psychosoziale Unterstützung für all jene, die Hilfe benötigen“ zu sichern. „Einkommensschwächere sind am stärksten von Depressionen betroffen“, erklärte in diesem Rahmen der Psychologe und Sozialexperte Martin Schenk.  „Ein Gesetz für psychologische Behandlung zu beschließen ohne es auch dem ärmsten Patienten leistbar zu machen ist wie eine Wohnung anzubieten, aber den Schlüssel dafür nicht auszuhändigen. Der Schlüssel wäre eine ordentliche Finanzierung, die den Zugang für jeden sichert.“

Text: Michi Reichelt; Foto: Anthony Tran/Unsplash

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