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Gesundheit
Österreich
11.02.2021

"Dranbleiben, wenn wir die Pandemie hinter uns haben!"

Was lässt sich aus den bisherigen Erfahrungen der Covid-19-Pandemie für die Zukunft lernen? Acht zentrale Befunde dazu haben hochkarätige Expertinnen und Experten auf Einladung von ACADEMIA SUPERIOR, Vinzenz Gruppe und elisabethinen Linz-Wien erarbeitet.

Zwei Dutzend Persönlichkeiten aus unterschiedlichen Bereichen des Gesundheits- und Sozialsystems nahmen an der Workshop-Reihe im November 2020 teil. Die Ergebnisse und die daraus resultierenden Empfehlungen für Politik und öffentliche Institutionen liegen nun vor und wurden am 9. Februar bei einer Online-Veranstaltung präsentiert. „Nur ein breites Bild wird der Komplexität der Pandemie gerecht“, betont Dr. Michael Heinisch, Geschäftsführer der Vinzenz Gruppe.

Es sind acht Befunde, die auf die strukturelle Sicht des Gesundheits- und Sozialsystems abzielen, um dieses noch besser auf zukünftige Krisen vorzubereiten:

Befund 1: Kooperation braucht einen Rahmen und gegenseitiges Vertrauen.

„Die Kooperation hat sich in den ersten Phasen vor allem deshalb bewährt, weil Vertrauen zwischen den handelnden Organisationen gegeben war“, erklärt Prof. Dr. Michael Meyer von der Wirtschaftsuniversität Wien, der die Workshops moderierte. Vertrauen müsse jedoch bereits in ruhigen Zeiten aufgebaut werden, nicht erst in Krisensituationen. Wichtig seien daher regelmäßige Krisenübungen mit allen geforderten Einrichtungen, aber auch die permanente kontinuierliche Zusammenarbeit in Expertenstäben wie dem (derzeit nicht besetzten) Obersten Sanitätsrat und nicht zuletzt die „alltägliche“ Vernetzung der Organisationen durch Austauschprogramme, Kongresse etc. Ausdrücklich positiv hebt Michael Heinisch die Einbindung in die Krisenstäbe und Task Forces in Oberösterreich hervor: „Zu wissen, dass man mitgestaltet, bedeutet eine enorme Motivation!“ 

Heinisch

Dr. Michael Heinisch, Geschäftsführer der Vinzenz Gruppe: „Veränderungen sind nicht von selbst nachhaltig. Wir müssen dranbleiben, wenn wir die Pandemie hinter uns haben.“

Befund 2: Digitalisierung begünstigt die Kommunikation.

Die Pandemie hat deutlich gemacht, was digitale Kanäle leisten können – und auch, was sie nicht können. „Corona hat das Thema Digitalisierung beschleunigt, aber auch gezeigt, dass wir in manchen Bereichen noch hinterherhinken“, stellt Landeshauptmann-Stv. und Gesundheitslandesrätin Mag.a Christine Haberlander fest. So sei etwa E-Medikation eine Selbstverständlichkeit, die es schon längst geben hätte sollen und die es nach Corona weiterhin geben müsse. Der nun eingeführte E-Impfpass brauche „definitiv Beschleunigung“, so Haberlander. Es gelte auch, Open Data im Gesundheitssystem zu forcieren, allerdings nicht bei den Patientendaten: „Es geht darum, statistische Daten schnell und breit zu teilen“, präzisiert Mag. Oliver Rendel, Geschäftsführer der Elisabethinen Linz-Wien.

Haberlander

Mag.a Christine Haberlander, Landeshauptmann-Stv. und Gesundheitslandesrätin: „Wir versuchen, Dinge zu antizipieren und Lösungen für morgen zu entwickeln.“

Befund 3: Digitalisierung und telemedizinische Gesundheitsdienstleistungen schaffen Flexibilität.

Die Expertinnen und Experten sprechen sich dafür aus, evidenzbasierte Vorteile der Digitalisierung in der Arzt-Patienten-Beziehung umzusetzen, wie dies bereits bei erfolgreichen Pilotprojekten der Fall sei. Als Paradebeispiel dafür nennt Oliver Rendel die Kooperation zwischen den Elisabethinen und dem Krankenhaus Kirchdorf zur dermatologischen E-Befundung: „Nicht jeder Weg ist für Patientinnen und Patienten notwendig, ohne dass die Behandlungsqualität darunter leidet.“ Dieses Muster lasse sich auf viele Fachgebiete und Spitäler ausrollen. Und: Man dürfe den „Boost“, den die Digitalisierung durch die Pandemie erhalten hat, nicht wieder abdrehen, wenn die Krise hinter uns liegt. Schon jetzt hätten mehr solche Strukturen verhindern können, dass wegen Covid-19 z. B. Vorsorgeuntersuchungen aufgeschoben werden.

Rendel

Mag. Oliver Rendel, Geschäftsführer der Elisabethinen Linz-Wien: „Diese Pandemie zeigt uns: Es ist nie zu früh, sich auf die nächste vorzubereiten.“

Befund 4: Einheitliche Spielregeln, Richtlinien und Standards verhindern Konflikte.

„Einheitliche Spielregeln sind dort sinnvoll, wo sie die Transparenz fördern und die Sicherheit erhöhen“, erklärt Michael Heinisch. Zugleich müssten allerdings die Akteure vor Ort die Freiheit haben, um schnell reagieren zu können. Praktikabilität und Subsidiarität setzen der Harmonisierung Grenzen, dies müsse auch klar kommuniziert werden. Es sei entscheidend, die richtige Balance zu finden.

Befund 5: Gemeinwohlorientierung ist das Fundament für Vertrauen und Kooperation.

Trägervielfalt und die Orientierung an Gemeinwohl sind starke Grundwerte im Gesundheits- und Sozialbereich: „Viele Schultern, die die Herausforderungen gemeinsam tragen, sind resilienter als monolithische Strukturen“, so Heinisch. Auch Michael Meyer attestiert den gemeinnützigen Trägern, sich in der Corona-Krise sehr gut zu bewähren: „Die gemischte Trägerschaft, der institutional welfare mix, ist ein großer Schatz“, meint der Nonprofit-Management-Experte. Die Gemeinnützigkeit sollte weiter gestärkt werden, etwa durch steuerrechtliche Regelungen und durch eine bessere öffentliche Sichtbarkeit bzw. klare Kennzeichnung gemeinwohlorientierter Träger.

Meyer

Prof. Dr. Michael Meyer von der Wirtschaftsuniversität Wien: „Corona hat der Gesellschaft gezeigt, welch zentralen Wert das Gesundheitssystem hat.“ 

Befund 6: Das österreichische Gesundheitssystem genießt hohes Vertrauen. Transparenz erhält es auch im Krisenmodus.

Diesem „institutional welfare mix“ sei maßgeblich auch das hohe Vertrauen in das Gesundheitssystem in Österreich zuzuschreiben, sagt Meyer. Vertrauen basiere darüber hinaus auf offener und ehrlicher Kommunikation, auch bei unsicheren Datenlagen wie in dieser pandemischen Krise. Gerade wenn ein veränderter Wissensstand zu veränderten Maßnahmen führt, müssten die Entscheidungsgrundlagen frühzeitig und transparent kommuniziert werden – vor allem jenen Einrichtungen, die die Anordnungen umzusetzen haben. Die Kommunikation müsse noch professioneller gestaltet werden. 

Panel

Befund 7: Zur Stärkung der Gesundheitskompetenz sind Bildungssystem und Medienöffentlichkeit gefordert.

„Bildung ist die beste Prävention“, unterstreicht Michael Heinisch mit Blick auf die von den Expertinnen und Experten empfohlene Einführung eines Schulfachs „Gesundheitskompetenz“. Dieses sollte die Zusammenhänge zwischen individuellem Verhalten und Gemeinwohl vermitteln. Neben „klassischen“ Aspekten wie Ernährung und Bewegung verweist Christine Haberlander auch auf die Systemkompetenz: „Wo bin ich richtig, wo ist der richtige Ort für meine Behandlung?“ Gesundheitskompetenz sei deshalb nicht nur ein Thema für den Unterricht, sondern eine Querschnittsmaterie – „etwas, das sich durchzieht“. Um alle Menschen zu erreichen, brauche es auch die geeignete Sprache und Multiplikatoren für die unterschiedlichen Zielgruppen.

Befund 8: Ein unsicherer „Krisenalltag“ braucht Standard Operating Procedures (SOP).

Was in risikobehafteten Bereichen wie der Luftfahrt oder dem Bergsport gang und gäbe ist, sollte auch in den Strukturen des Gesundheitssystems selbstverständlich sein: Klare Vorgaben (Standard Operation Procedures), die in Abhängigkeit von Warnstufen einheitlich gelten, geben Orientierung. „Es gibt kein Handbuch für solche Situationen“, sagt Christine Haberlander, „aber wir brauchen Handlungsanleitungen für jene, die an der Krisenbewältigung mitwirken.“ Und Michael Meyer rät: „Man sollte beim Navigieren in der Krise nicht permanent den Lotsen wechseln“.

Text: Josef Haslinger

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